Neo Noir
| International
| 2010
| Thomas Arslan
| Hanns Zischler
| Mišel Matičević
| Karoline Eichhorn
Bewertung
*****
Originaltitel
Im Schatten
Kategorie
Neo Noir
Land
GER
Erscheinungsjahr
2010
Darsteller
Mišel Matičević, Karoline Eichhorn, Uwe Bohm, Rainer Bock, Hanns Zischler
Regie
Thomas Arslan
Farbe
Farbe
Laufzeit
82 min
Bildformat
Widescreen
© Filmgalerie 451 GmbH & Co. KG
Berlin: Trojan (Mišel Matičević) saß einige Zeit im Gefängnis. Nun ist er auf freiem Fuß und fordert von Dragan (Jörg Malchow) seinen Anteil an einem früheren Raubüberfall. Doch der ist von dem unerwarteten Besuch wenig begeistert, zumal ihn Trojan um 10.000 EUR Bargeld und seine Waffe erleichtert. Der Polizist Renee Meyer (Uwe Bohm) ist wettsüchtig und verliert manchmal auch eine größere Summe. Das nötige Geld nimmt er Drogendealern wie Ben (Timo Jacobs) und anderen Kriminellen ab, die er als Gegenleistung ihren Geschäften nachgehen lässt. Als Trojan in einen von Planer (Hanns Zischler) inszenierten Juwelenraub einsteigen will, ist Ben mit von der Partie. Über ihn kriegt Meyer von der Sache Wind und versucht, auch Trojan auf die Liste seiner Schuldner zu setzen. So leicht lässt sich der aber nicht unter Druck setzen, zumal er ganz andere Probleme am Hals hat. In seiner Wohnung erwarten ihn Dragans Schergen (Lutz Heyden, Stefan Tiede), um ihn ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen…
„Mit "Im Schatten" hat Thomas Arslan einen Film noir wie aus dem Lehrbuch gedreht“, schrieb die Frankfurter Rundschau 2010 und verglich den Film prompt mit Werken Jean-Pierre Melvilles und John Boormans. Nein, es ist nicht zu hoch gegriffen. Tatsächlich ist Im Schatten vor allem vom Film Noir Frankreichs beeinflusst. Wie in Jean-Pierre Melvilles Der Teufel mit der weißen Weste (FRA/ITA 1962) und besonders in dessen Vier im roten Kreis (FRA/ITA 1970) muss sich der Protagonist Trojan in seiner Gegenwelt, die uns Thomas Arslan erschreckend nahe bringt, gegen die eigene Vergangenheit zur Wehr setzen, um die geringste Aussicht auf eine Zukunft zu haben. Dabei ist sein Verhältnis zum alten Kumpanen Nico (Rainer Bock), inzwischen rechtschaffender Betreiber einer Autowerkstatt, und zur korrupten Anwältin Dora Hillmann (Katherine Eichhorn) nicht frei von Zwischentönen echter Zuneigung. Genau sie sind es, die ihn unachtsam werden lassen und in Gefahr bringen. Klassischer Film Noir! Genau so ergeht es den Figuren bei Jean-Pierre Melville und bei Jacques Becker ebenfalls. Teils spiegelt sich hier sogar das Los des an Einsamkeit erkrankten Killers Frank Bono (Allen Baron) aus dem legendären Idependentfilm Explosion des Schweigens (USA 1961). Und Uwe Bohm als Renee Meyer erinnert auf triftige Weise an Harvey Keitel in Abel Ferraras Bad Lieutenant (USA 1992).
Thomas Arslan inszenierte seinen Thriller mit der Kenntnis solcher Filmtraditionen und mit Gespür für den eigenen Stil. Das Stichwort heißt Minimalismus, also sparsam im Dialog, leise in der musikalischen Begleitung, unaufdringlich und doch ästhetisch in der Bildkomposition. Der Reichtum liegt im hochwertigen und im stets schlichten Repertoire aller Ausdrucksmittel. In den ersten 30 Minuten lässt sich Im Schatten bewusst Zeit, um die Konstellation der Charaktere mit deren Interessen und Konflikten zu skizzieren. Viel erfährt der Zuschauer nicht, aber wie alle Beteiligten genau das Notwendige. Die Deklination von Trojans Realität ist die Korruption, ihre Syntax das Misstrauen, doch ist er selbst mit all ihrer Grammatik bis ins Detail vertraut. Die Architektur der Großstadt ist eine vollautomatisierte Leere, lauter Parkplätze, Rolltore, Aufzüge und Coffeeshops, Imbisslokale, Autohäuser, darin Menschen wie verirrt oder zufällig anwesend wirken. Immer in Jacke und in Schuhen, immer auf dem Sprung: in keinem Hotelzimmer und in keinem seelenlos möblierten Apartment kommt für Trojan das mindeste Behagen auf. Eine Stadt ohne Zuhause, eine Welt ohne Freunde. So ist das eine Heimat, die letztlich eben keine ist und keine sein wird. Im Schatten ist ein Film aus Deutschland, von dem man sich wünscht, dass er stilbildend würde. Er ist zu 100% die Antithese zum deutschen Fernsehkrimi und zur intellektualistischen Leere vielerlei "Kunstschaffens". Ein unaufdringlicher und fast schon lakonischer Film, aber großes Kino.