Die das Gesetz nicht schützt

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Eddie Muller


Wenn es Nach wird in Paris


Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
****
Originaltitel
Mstitel
Kategorie
Post Noir
Land
CSK
Erscheinungsjahr
1960
Darsteller

Radoslav Brzobohatý, Ivanka Devátá, Jan Pivec, Gustav Nezval, Josef Beyvl

Regie
Karel Steklý
Farbe
s/w
Laufzeit
81 min
Bildformat
Vollbild

 


 

 

Prag im frühen 20. Jahrhundert, in den späten Jahren des Kaiserreichs Österreich-Ungarn: Im Gedränge eines Marktes probiert einer von vier nach drei Jahren aus Italien in die Heimat zurückgekehrten Soldaten, die just aus der Armee ausschieden, einen Hut an. Er wirft seine Armeemütze achtlos weg und beäugt sich im Spiegel der Verkäuferin mit dem neuen Kopfschmuck. Nebenan preist ein Herr mit Strohhut (Miroslav Homola) die hellseherischen Fähigkeiten einer Madame Carmen an, die den Burenkrieg und die Ermordung der Kaiserin Elisabeth vorhergesagt habe. Er zieht Kašpar Lén (Radoslav Brzobohatý) die Dienstmütze vom Kopf und fragt Carmen, welche die Augen verbunden trägt, was er in seiner Hand halte. Doch allzu schnell verlässt die Dame ihre Begabung und die vier gehen spöttelnd davon… In der Abenddämmerung verabschieden die Kameraden sich an einem Bahnübergang, und Kašpar Lén schreitet die Treppe zur Mietskaserne hinab, wo er einst bei Kryštof (Gustav Nezval), wie er selbst ein Maurer, und bei dessen Tochter Márynka (Ivanka Devátá) Quartier bezogen hatte. Die Wohnung aber ist leer und verfallen: nichts als Staub und Spinnweben ringsum. Da wird er von der im Hof tätigen Frau Cverencová (Věra Tichánková) entdeckt und erfährt von ihr, dass die Mieter längst fort seien. Als ihr Mann, der Bahnwärter Cverenec (Josef Beyvl), zu ihnen stößt, ist solcher gutmütige Mensch entzückt, dass wie er selbst auch Kašpar Lén im 21. Regiment diente und lädt ihn zu sich in die Wohnung ein…

 

Das bittere Kriminaldrama von Drehbuchautor und Regisseur Karel Steklý, dessen Originaltitel Mstitel wörtlich übersetzt Rächer bedeutet, ist eine Verfilmung von Karel Matěj Čapek-Chods Roman Kašpar Lén Mstitel (EA 1908, auf Deutsch 1957 als Kašpar Lén, der Rächer) und gehört zur seltenen Spielart eines Film Noirs vor historischer Kulisse. Sowohl dieser Aspekt als auch die schon erwähnte Bitterkeit rücken seine Geschichte in die Nähe von Jacques Beckers Goldhelm / Die Sünderin von Paris (FRA 1952), dessen Handlungsverlauf zu Steklýs Literaturverfilmung Parallelen aufweist. Nachdem der von Arbeitslosigkeit und Armut geplagte Kryštof mit Tochter Márynka versuchte in das benachbarte Warenlager des reichen Kaufmanns Kopinski (Jan Pivec), zugleich ihr Vermieter, einzubrechen und dabei scheiterte, zwang der bösartige Alte das Mädchen zu Liebesdiensten. In der Folge kam der Vater ums Leben und Márynka endete in einem Bordell. Nach und nach erkennt der heimgekehrte Kašpar Lén das Ausmaß der Missetaten des kaltherzigen Kopinskis und beschließt Rache zu nehmen… Die Filmhandlung erweist sich als dunkel bis düster und zuletzt als tragisch. Ihr Regisseur Karel Steklý nutzt für seine Sozial- und Systemkritik (notgedrungen) eine längst vergangene Epoche. Schließlich findet sich der Zuschauer nicht in der sozialistischen Tschechoslowakei sondern im dekadent verkommenen Kaiserreich Österreich-Ungarn kurz vor dessen endgültigem Niedergang und Verschwinden. Schon die 1908 erschienene Romanvorlage Čapek-Chods war von einem patriotischen Grundton geprägt, rangen die Tschechen unter Führung ihrer Gallionsfigur Tomáš Garrigue Masaryk damals doch um die Unabhängigkeit. Die Monarchie in all ihrer Lasterhaftigkeit und ihren Härten zu entlarven ist die Absicht und erklärt auch den deutschsprachigen Titel Die das Gesetz nicht schützt, unter dem der Film 1961 in der DDR ins Kino kam. 

 

 

Insofern der Film, wie erwähnt, die österreichisch-ungarische Monarchie aufs Korn nimmt, gegen die sich der Schriftsteller Karel Matěj Čapek-Chod seinerzeit stemmte, geht seine von tief wurzelndem Gerechtigkeitssinn geprägte Sozialkritik, die Korruption und Bigotterie in einem Prag des Umbruchs darstellt, mit der Tschechoslowakei des Jahres 1960 konform. Allein das schadet Karel Steklýs düsterem Film aus heutiger Perspektive jedoch nicht. Nur die Schlusssequenz erscheint leider inkonsequent und fügt sich nicht in den Tenor und die Entwicklung des vorherigen Handlungsverlaufs. Es mag daran liegen, dass Steklý, der selbst die Adaption des Romans bewerkstelligte, signifikant von Čapek-Chods literarischer Vorlage abweicht. Trotzdem ist Die das Gesetz nicht schützt ein bemerkenswert couragierter und erstklassig gespielter Film Noir in einem für letzteren untypischen Zeitalter, der als ein Stück osteuropäisches Erzählkino erstaunlich gut alterte. “The story, steeped in social injustice, greed, powerlessness and the desire for revenge (...) resonates to this day, as some practices will probably never disappear and will have to be fought against at all times”, schreibt auch Veronika Zýková über das auf dem Noir Film Festival in Český Šternberk, Tschechien, im August 2024 wiederaufgeführte Werk.

 

Weltweit gibt es meines Wissens bis heute (2024) keine BD oder auch DVD des Films, der auf dem Noir Film Festival, wie angemerkt, in einer exquisit restaurierten Fassung mit dem tschechischen Originalton und inklusive englischer Untertitel gezeigt wurde.

 


 

Post Noir | 1960 | International | Karel Steklý | Josef Beyvl | Radoslav Brzobohatý

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