Mare Of Easttown

© Home Box Office, Inc.

In der Kleinstadt Easttown im Bundesstaat Pennsylvania erhält Police Sergeant Marianne “Mare“ Sheehan (Kate Winslet) früh an diesem Wintermorgen über ihr privates Telefon einen Anruf der Rentnerin Betty Caroll (Phyllis Somerville). Als sie an deren Haus anlangt und endlich eingelassen wird, verlangt Mare, dass sie sich in Zukunft ans Polizeirevier wende und platziert dessen Nummer, an die sich Betty nicht erinnern konnte, an der Pinnwand in der Küche. Ein Spanner habe ihre Schwiegertochter heute am Morgen beim Ankleiden beobachtet, weiß Betty zu berichten, und Mare inspiziert kurz den verwahrlosten Garten mit seinem Schuppen, wo der Kerl in einem Hoodie gestanden haben soll. Als sie sich auf den Weg machen will, um einen Bericht aufzusetzen, kommt Bettys Ehemann Glen (Patrick MacDade) zur Tür herein. Betty macht ihm Vorwürfe, dass er die vor Monaten zur Gartenseite hin installierte Überwachungskamera noch immer nicht in Betrieb genommen habe. Doch Glen geht darauf gar nicht erst ein, sondern fragt Mare, ob sie den Artikel wegen der am heutigen Abend stattfindenden Jubiläumsfeier, der in The Easttown Tribune erschienen sei, schon gelesen habe, doch die Polizistin verneint. Während Betty und Glen die Tageszeitung suchen, verlässt Mare eiligst das Haus… Die bei ihrem Vater Kenny McMenamin (Patrick Murney) lebende, 17-jährige Erin (Cailee Spaeny) liegt wach auf ihrem Bett und spricht zu ihrem einjährigen Sohn, der das kommende Wochenende leider nicht bei ihr verbringen wird… 

In US-amerikanischen Film- und Fernsehproduktionen sind Frauen im Dienst einer Polizeibehörde seit der New Yorker “Policewoman“ Casey Jones (Beverly Garland) in deren TV-Serie Decoy (USA 1957-58) präsent. Zuvor hatten private Ermittlerinnen dominiert, etwa Carol Richman (Ella Raines) in Robert Siodmaks Zeuge gesucht (USA 1944) oder Privatdetektivin Belinda Prentice (Adele Mara) in Exposed (USA 1946). Im Anschluss an skandinavische TV-Serien wie Kommissarin Lund (DNK/NOR/SWE/GER 2007-2012) oder Die Brücke – Transit in den Tod (DNK/SWE/GER 2011-2018) hatte der US-amerikanische Neo Noir die Tradition wiederbelebt und dank Polizistinnen à la Jane Banner (Elizabeth Olsen) in Taylor Sheridans Wind River (USA 2017), Erin Bell (Nicole Kidman) in Karyn Kusamas Destroyer (USA 2018) oder Alicia West (Naomie Harris) in Deon Taylors Black And Blue (USA 2019) diese Sparte aufgewertet und intensiviert. Die von Brad Ingelsby (Auge um Auge – Out Of The Furnace, USA 2013) geschriebene und mit Craig Zobel (Compliance, USA 2012) als Regisseur besetzte TV-Serie Mare Of Easttown ist ein Streich der für brillante Fernsehunterhaltung international bekannten US-Produktionsfirma Home Box Office (HBO) und darf als ein weiteres Meisterstück gelten. Letzteres beruft sich auf die Tradition, die HBO mit (dem Neo Noir zugehörigen) Serien à la True Detective – Season One (USA 2014), The Night Of – Die Wahrheit einer Nacht (USA 2016) oder Perry Mason – Season One (USA 2020) selbst begründete. Zwar entbehrt die in einer tristen und von sozialen Spannungen heimgesuchten Kleinstadt angesiedelte Geschichte nicht einiger für den Neo Noir typischen Themen, – Jugendgewalt, Ehebruch, Drogensucht, Kidnapping und verschwiegene Familienclans – doch gelingt Ingelsby seine Handlungsstränge so zu lenken, dass er offensichtliche Klischees mit Geschick umschifft. Letzteres ist nicht zuletzt der detaillierten und feinfühligen Zeichnung aller Rollencharaktere geschuldet, die von A bis Z glaubwürdig bleiben. 

“My life's a shit show, Zabel. I'm about to lose custody of my grandson, and I'm still workin' through unresolved issues from the son who killed himself." Ich bin nicht der erste und werde nicht der letzte sein, der die Leistung Kate Winslets in der Hauptrolle würdigt, die Mare Sheehan mit einem Gespür und mit einer Präzision spielt, die an Bestleistungen von Kolleginnen à la Kim Stanley, Frances McDormand, Gong Li, Viola Davis oder Sandra Hüller anknüpft. Mare ist die Großmutter, Mutter, Tochter und ex-Frau, die Polizeibeamtin, Freundin und Liebhaberin, die stets versucht, sich aus den Ketten ihrer Vergangenheit zu befreien und sich mit jedem Schritt mehr im Geflecht einer Gegenwart verstrickt, darin die Einwohner aller Generationen Easttowns zappeln. Ihre unverblümte, teils rüde Art erinnert an die dänische Polizistin Saga Norén (Sofia Helin) in Die Brücke – Transit in den Tod (DNK/SWE/GER 2011-2018), welche am Asperger-Syndrom leidet, doch ist Mare vor allem durch den Selbstmord ihres drogensüchtigen Sohnes Kevin (Cody Kostro) traumatisiert. Mare Of Easttown serviert seinem Publikum eine exquisit ausbalancierte und vielseitige Erzählung aus den Grauzonen und teils den Schattenseiten der US-amerikanischen Gegenwart und wartet jenseits von Winslet mit einem Ensemble auf, das nichts zu wünschen übriglässt: Julianne Nicholson, Jean Smart und Angourie Rice sind allesamt grandios. Erneut spielt auch Guy Pearce an der Seite Kate Winslets, so wie 10 Jahre zuvor in Todd Haynes‘ für HBO geschriebene und inszenierte TV-Serie Mildred Pierce (USA 2011), Neuverfilmung des Film Noirs Solange ein Herz schlägt (USA 1945) von Michael Curtiz.

Via Home Box Office (HBO) und Warner Bros. Home Entertainment gibt es eine exzellent editierte deutsche 2-DVD-Box (2021) mit allen 7 einstündigen Episoden ungekürzt im Originalformat, bild- und tontechnisch exzellent, dazu die original englische Tonspur und jeweils die deutsche, französische und polnische Synchronisation sowie optional Untertitel auf Deutsch, Englisch, Dänisch, Französisch, Niederländisch, Finnisch, Norwegisch, Polnisch, Schwedisch. Eine 2-Blu-ray disc mit Tonspuren auf Englisch und Französisch gibt es nur in Frankreich. Deren UT beinhalten Französisch, Dänisch, Niederländisch, Schwedisch, Norwegisch, Finnisch. Als Extras liefern mehrere kurze Features Informationen zur Riege der handelnden Figuren und zu den Details und Hintergründen der Produktion.