Hugh Williams, Greta Gynt, Marius Goring, Francis L. Sullivan, Henry Edwards
London, England: Am Abend des 15. Aprils haben in der Metropole zwei Ereignisse stattgefunden, berichtet der Vertreter der Anklage (Francis L. Sullivan), von denen eines dazu führte, dass Nicholas Talbot (Hugh Williams) als Hauptverdächtiger eines Mordes vor den Richter treten muss. Denn an diesem Abend wurde die Violinistin Elizabeth Rusman (Rosalie Crutchley), eine frühere Freundin Talbots, erdrosselt aufgefunden. Zuvor besuchte Talbot das Royal Opera House in Covent Garden, wo seine Ehefrau Philippa Shelley (Greta Gynt) als Star einer neuen Oper ihr Londoner Debut gab. Die Karriere Philippas war trotz ihres enormen Talents von Rückschlägen und von Unsicherheit gezeichnet. So hatte Nicholas Talbot, zugleich der Manager seiner Frau, vor ihrem Auftritt die Aufgabe, Philippa in ihrem Lampenfieber Mut zuzusprechen. Sodann begab er sich in die Loge zu seiner Schwester Joan Newcombe (Marjorie Mars) und deren Sohn Leslie (David Wallbridge). Zu dritt lauschten sie dem Ereignis des Abends, das im Saal auch vom Staatsanwalt verfolgt wurde. Talbot ahnt nicht, dass als Ersatz für ein erkranktes Orchestermitglied Elizabeth für Philippa musiziert, und mitten in der Arie wird er von einem Platzanweiser ans Telefon im Foyer abberufen. Als er später Philippa in ihrer Garderobe gratuliert, weiß jene schon, dass er während der Arie die Loge verließ und ist pikiert. Als Nicholas vom Eingang des Hauses wo er für Joan und Leslie ein Taxi orderte, zurückkehrt, wird er im Korridor von Elizabeth erkannt und gerufen…
”It isn’t the evidence you got. It’s the evidence you haven’t got.“ Das Debüt des früheren Kameramanns Ronald Neame als Regisseur, der in dieser Funktion bis ins Jahr 1990 noch 25 weitere Werke folgen ließ, ist ein knackig inszenierter Kriminalfilm mit deutlichen Nuancen eines Film Noirs. Vor allem Robert Siodmaks Zeuge gesucht (USA 1944) ist als Einflussfaktor offensichtlich. In dem US-Klassiker ist es allerdings die Ehefrau, die erwürgt aufgefunden wird, indessen die Angestellte Carol Richman (Ella Raines) des Ingenieurs Scott Henderson (Alan Curtis) versucht, den insgeheim von ihr Geliebten von der Schuld an dem Mord reinzuwaschen. Hier nun ist es umgekehrt: es bleibt die Aufgabe Philippa Shelleys, den Mörder der ex-Freundin ihres Mannes aufzuspüren, und solche Suche gestalten Neame und Crew mit einigen Kniffen überaus facettenreich. So wird das Geschehen in Rückblenden entfaltet und durch die Erzählstimme des von Francis L. Sullivan verkörperten Anklägers dem geneigten Zuschauer erläutert. Es ist außerdem die erste Beteiligung des renommierten englischen Schriftstellers Winston Graham (Marnie, EA 1961) an einem Film, doch handelt es sich nicht um eine Verfilmung seines eigenen Romans Take My Life (EA 1947, auf Deutsch als Die zweite Geige stirbt erst 1967). Vielmehr war es so wie bei Graham Greenes Beteiligung an Frank Tuttles Die Narbenhand (USA 1942), nämlich genau andersherum. Winston Graham schrieb am Drehbuch mit und verfasste den Roman erst im Anschluss daran.
“This is a fine suspense film that is gorgeous to look at, imaginatively cut, and shot and directed by the always interesting Neame”, schreibt David L. Vineyard für Mystery*File und trifft den Nagel auf den Kopf. Tatsächlich ist vor allem das letzte Drittel des Werks, nachdem es Philippa gelungen ist, die Fährte des wahren Mörders aufzuspüren, sowohl atmosphärisch als auch mit Blick auf Kameraarbeit und Schauspiel sehr eindringlich. Mich persnönlich haben lediglich zwei, drei Koinzidenzen gestört, die der Konstruktion des Mordfalls geschuldet und mehr als unglaubwürdig sind. Im Übrigen handelt es sich bei Das rettende Lied um einen bis heute unentdeckten Klassiker des Brit Noirs, der dringend wiederaufgelegt werden müsste und den vielen B-Filmen der 50er Jahre, die unterm Banner des Films Noirs in und aus England firmieren, klar überlegen ist. Greta Gynt, Francis L. Sullivan, Marius Goring und Rosalie Crutchley (ebenfalls in ihrem Filmdebüt) sind exzellent besetzt, und auch Hugh Williams, allemal über 12 Jahre älter als Greta Gynt, liefert eine gute Leistung ab. Der Film zieht einen schnell in seinen Bann; das Ende kommt allerdings etwas abrupt. Die von Ronald Adam verkörperte Figur, welche einzig im Finale eine Rolle spielt, ergibt bei genauer Betrachtung wenig Sinn bzw. wird dieser Rolle in keiner Weise gerecht. Für den Freund klassischen britischen Kinos und für alle Entdecker des Film Noirs von der Insel ist der Film trotzdem auf jeden Fall zu empfehlen.
Es gibt bis heute (2020) weltweit keine offizielle BD oder DVD dieses Klassikers, der einst sogar in deutschen Kinos lief und obwohl es in England in der Reihe Classic Thrillers Collection einst eine obskure DVD-Edition gab, die ich meinerseits jedoch als eine unlizensierte Ausgabe und damit als Bootleg einstufe. So müssen Cineasten stets auf einschlägige Online-Portale zugreifen, wo der Film - wahrscheinlich von der hier zitierten DVD kopiert - ungekürzt im Originalformat mit der englischen Tonspur ohne Untertitel und in (immerhin) mittelmäßiger Bildqualität zur Verfügung steht.