Joaquin Phoenix, Judith Roberts, Ekaterina Samsonov, John Doman, Alex Manette
Cincinnati, Ohio: Als Veteran des Golfkriegs ist Joe (Joaquin Phoenix) nicht nur wegen seiner Erfahrungen an der Front traumatisiert. Schon als Junge (Dante Pereira-Olsen) hat er durch den Vater (Jonathan Wilde) Drill und Gewalt erfahren. Aktuell ist Joe darauf spezialisiert, entführte Minderjährige aufzuspüren und zu ihren Eltern zurückzubringen, wobei ihm im Kampf mit den Entführern jedes Mittel recht ist. Seine bevorzugte Waffe ist der Hammer. Als er heute Abend seinen Auftrag erledigt hat, muss er aufpassen, dass er das Hotel, wo die Übergabe stattfand, unbemerkt wieder verlassen kann, denn vor der Front steht ein Polizeiwagen. Als Joe im Hinterhof angegriffen wird, beschließt er, den Notausgang zu nehmen und kann schließlich in ein Taxi steigen, das ihn zum Flughafen bringt, indessen sein Fahrer (Larry Canady) den Song Wake Me anstimmt… Vom Flughafen, wo zu später Stunde kaum Betrieb ist, ruft Joe seinen Agenten John McCleary (John Doman) an und teilt dessen Anrufbeantworter in aller Kürze mit, dass der Auftrag abgeschlossen sei. Dann fliegt Joe zurück nach New York, wo er in einem Außenbezirk zusammen mit seiner greisen Mutter (Judith Roberts) gemeinsam in deren Haus lebt. Als er ins Wohnzimmer tritt, scheint seine Mutter vor dem Fernseher eingeschlafen zu sein, aber tatsächlich verstellt sie sich nur, um ihren Sohn zu veräppeln. Sie amüsieren sich darüber und dann berichtet die Mutter Joe, dass sie zuvor Alfred Hitchcocks Thriller Psycho gesehen und davon so richtig Angst bekommen habe…
„Es ist eine Welt schäbiger Dekadenz, in die Lynne Ramsays moderner Film noir entführt, ein Alptraum aus Plüsch und Blut“, schrieb Daniel Kothenschulte in seiner Besprechung für die Frankfurter Rundschau zum deutschen Kinostart im April 2018. Die schottische Autorin und Regisseurin Ramsey machte international durch ihr kontroverses Drama We Need To Talk About Kevin (UK/USA 2011) auf sich aufmerksam, bevor sie sechs Jahre später mit der Verfilmung des Romans You Were Never Really Here (EA 2013) von Jonathan Ames erneut die Filmkritik für sich einnehmen konnte. Im Mai 2017 feierte der Film, der später nur in Frankreich, Italien und Deutschland als A Beautiful Day in die Kinos kam, seine Premiere auf den Filmfestspielen in Cannes, wo er von einem begeisterten Publikum mit minutenlangem Applaus bedacht wurde und für das beste Drehbuch, verfasst von Lynne Ramsay, und für den besten Hauptdarsteller, nämlich Joaquin Phoenix, ausgezeichnet wurde. Phoenix hatte in den vorhergehenden 10 Jahren in gerade einmal 10 Filmen mitgewirkt, doch seine Rollencharaktere stets mit unvergesslicher Intensität porträtiert. In A Beautiful Day krönt er das Panoptikum seiner Wandlungsfähigkeit mit der durchweg glaubwürdigen Verkörperung eines hoch traumatisierten Menschen, der im Innersten an der Welt und an sich selbst längst verzweifelte. Letzteres geht Hand in Hand mit der Zurückhaltung, die sich auch Lynne Ramsey als Regisseurin auferlegt, die in einem von Gewalt und Härten bestimmten Drama nie und nimmer schrille oder laute Akkorde anstimmt, sondern in subtiler Weise Einzelheiten und Zwischentöne für sich sprechen lässt. Genau das gibt Joaquin Phoenix‘ Schauspiel den angemessenen Rahmen und verleiht damit dem Bilderreigen des Kameramanns Tom Townsend einen Hauch von Meisterschaft.
Mehr als einmal wurde von Journalisten und Cineasten der Vergleich mit Martin Scorseses Neo Noir Taxi Driver (USA 1976) angestellt: Ein traumatisierter Kriegsveteran rettet eine Minderjährige aus einem New Yorker Bordell und hinterlässt dabei eine blutige Spur. Auch Luc Bessons Léon, der Profi (FRA 1994) weist Parallelen zu der Geschichte in A Beautiful Day auf, deren Minimalismus und Fokus auf Joe als Fremdkörper in der eigenen Heimatstadt jedoch eine ganz eigene Sprache findet. Zugleich erachte ich vor dem fast achtminütigen Abspann die Schlusssequenz als etwas zu hastig und knapp. In dem Augenblick, wo das Verhältnis zwischen Joe und der von ihm befreiten Nina Votto (Ekaterina Samsonov) überhaupt beginnt, so etwas wie eine Form (der Kommunikation) anzunehmen, verabschiedet sich die Erzählung und wirft uns quasi aus dem Saal. Sicher, der Minimalismus und die Lakonie, solches Was und Wie dieses Neo Noirs beeindrucken uns Zuschauer. Dennoch bleibt am Ende ein Gefühl, als traue sich der Autor / die Autorin nicht über die Grenze des Standpunkts ihres Beobachtens hinaus und damit an die Protagonisten näher heran. Die letzten 15 bis 20 %, die aus dem Film ein Meisterstück hätten werden lassen, am Ende fehlen sie mir. Nun, allemal bin ich mit dem, was ich zuvor zu sehen bekam, mehr als zufrieden und kann dem Connaisseur des Neo Noirs A Beautiful Day guten Gewissens empfehlen.
Es gibt eine jeweils erstklassige deutsche BD- und DVD-Edition (2018) der Constantin Film Verleih GmbH mit dem Werk ungekürzt und im Originalformat, dazu die original englische Tonspur (definitiv ein Muss!) und die deutsche Kinosynchronisation, optional deutsche Untertitel, obendrein Interviews mit Lynne Ramsay und Joaquin Phoenix und je den deutschen und den US-amerikanischen Kinotrailer als Extras.