Ninón Sevilla, Andrea Palma, Tito Junco, Rubén Rojo, Miguel Inclán
Chihuahua, Mexiko: Die hübsche Elena Tejero (Ninón Sevilla) lebt behütet im elterlichen Haus und nimmt soeben mit ihrem Vater Manuel (Ray Montoya) und ihrer Mutter Consuelo (Maruja Grifell) das Frühstück ein. Da klingelt es und der Hausfreund Ramón (Salvador Lozano) holt den Vater mit seinem Wagen zur Arbeit ab. Allerdings schätzt es Consuelo nicht, wenn Ramón mit ihrer Tochter Elena flirtet, da er immerhin 20 Jahre älter ist und das Mädchen seit ihren frühen Kindertagen kennt. Manuel verabschiedet sich von seiner Frau, die er stets liebt, und Elena lässt sich von den Männern an der Tanzschule absetzen, die sie besucht. Ihre Mutter schärft ihr ein, nach dem Unterricht sofort nach Hause zu kommen, da sie ihre Hilfe benötige. Als Elena die Schule verlässt, erwartet sie vor der Tür der in Ciudad Juarez lebende Lucio Sáenz (Tito Junco). Er möchte die junge Frau in ein Lokal einladen, doch Elena bleibt standhaft und eilt nach Hause. Hier geht sie in den ersten Stock, betritt sorglos das Zimmer ihrer Mutter und findet Consuelo, die Elena nicht so früh zurück erwartete, in inniger Umarmung mit Ramón... Ziellos treibt Elena durch Straßen ihrer Heimatstadt, bevor sie am Abend zurückkehrt und ihren Vater als gebrochenen Mann über einem Abschiedsbrief der Mutter vorfindet. Und kaum hat Elena den verbittert schweigenden Vater in seinem Zimmer zurückgelassen, indessen sie schwört, an der Mutter und an Ramón Rache zu nehmen, hört sie einen Schuss. Manuel Tejero hat sich selbst das Leben genommen…
Nicht erst Alexander Ballinger und Danny Graydon machten in ihrem The Rough Guide to Film Noir (2007) auf jene für Mexiko typischen Melodramen der 40er und 50er Jahre aufmerksam, die sich aufs Terrain des Film Noirs wagten. Typisch daran war die Geschichte der gefallenen, jungen Frau aus gutem Hause, die sich aufgrund einer dramatischen Entwicklung als Prostituierte und Sängerin oder Tänzerin verdingen muss. In den 6 Jahren ihrer Kollaboration mit Alberto Gout wurde die aus Kuba stammende Schauspielerin und Tänzerin Ninón Sevilla durch genau solche Filme zu einem internationalen Star. 1950 war Entfesselte Moral ihre vierte Zusammenarbeit in nur drei Jahren und Aventurera, so der Originaltitel, war allerorten ein großer Erfolg. Der Ehebruch der Mutter, die mit ihrem Liebhaber durchbrennt, treibt den Vater in den Tod; die Tochter versucht als Sekretärin und Kellnerin ihr Auskommen zu finden und wird allerorten von den Männern begrabscht, bis sie arbeitslos in Ciudad Juarez erneut auf den zwielichtigen Lucio Sáenz trifft, der die Unerfahrene betrunken macht und sie an ein Freudenhaus vermittelt… Von dort ist der lange Weg in die Rache ein Film Noir per se, der allerdings zur Erbauung des Publikums mit aufwendig choreographierten Tanzeinlagen durchsetzt ist, die das Werk beizeiten wie ein Musical erscheinen lassen. Ein solcher Hybrid wäre in der Geschichte des US-.amerikanischen Film Noirs so einmalig wie Der Todesreifen / Ein gefährlicher Rivale (USA 1946), darin die Eiskunstläuferin Belita, einer Ninón Sevilla klar verwandt, ihre virtuosen Künste vorführt. Im mexikanischen Noir ist Entfesselte Moral demgegenüber ein Musterbeispiel für ein halbes Dutzend Filme mit einer überaus ähnlichen Geschichte.
Mitte der 90er Jahre erfuhr Entfesselte Moral als einer der ersten mexikanischen Film Noirs in restaurierter Fassung eine Wiederaufführung in den USA. Inzwischen ist jedoch die DVD-Edition (2004) von Cinemateca, die 2009 nochmals mit Arcady Boytlers The Woman of The Port (MEX 1934) als zweitem Film wiederaufgelegt wurde, nur noch zu überteuerten Preisen erhältlich. Ungekürzt im Originalformat mit dem original spanischen Ton und englischen Untertiteln bietet sie eine allemal gute Bild- und Tonqualität und ist zu empfehlen.