Bewertung
****
Originaltitel
Zde jsou lvi
Kategorie
Film Noir
Land
CSK
Erscheinungsjahr
1958
Darsteller
Karel Höger, Dana Medrická, Jarmila Smejkalová, Alena Kreuzmannová, Bedrich Vbrský
Regie
Václav Krska
Farbe
s/w
Laufzeit
88 min
Bildformat
Vollbild
Aus dem Tor einer Minenanlage des Untertagebergbaus rast der Minenleiter Alexandr Sterba (Karel Höger) auf seinem Motorrad über die herbstlichen Straßen in Richtung der nächstgelegenen Kleinstadt. Überall weichen Fahrradfahrer und Fußgänger ihm erschrocken aus, doch als Sterba vor der Post ankommt, verliert er über sein Zweirad die Kontrolle und wird bei dem folgenden Sturz schwer verletzt. Im Operationssaal kämpfen die Ärzte um sein Leben, ums Leben eines Mannes, der vor kurzem noch über die Maßen allein war… Drei Tage zuvor: Während Ingenieur Radim Vochoc (Svatopluk Matyás) spät abends am Zeichenbrett im Büro der Mine arbeitet, klopft es an der Tür. Jana Sterbová (Jarmila Smejkalová) erkundigt sich nach dem Verbleib ihres Mannes, obwohl sie so gut wie der junge Ingenieur weiß, dass jener sich um diese Stunde meist auf der Terrasse des Landgasthofs dem Suff hingibt. Die Ehefrau des Minenleiters, die von dem jungen Herrn ganz offensichtlich angetan ist, beschließt trotzdem zu warten. Sie setzt sich in einen Sessel, wo sie kurz darauf zu schlafen scheint. Indessen muss die Sekretärin der Mine, Vilma Hádlová (Dana Medrická), von der Tanzfläche aus zu ihrem Leidwesen beobachten, wie sich Alexandr Sterba wieder betrinkt. Es schmerzt sie, denn obwohl Sterba mit seinen Untergebenen einen rüden Umgang pflegt, hat sie sich in ihren Chef verliebt. Als Vochoc in der Mine die hübsche Jana verabschieden will, bittet diese den Ingenieur, sie wegen der Dunkelheit nach Haus zu geleiten…
Ein Erzähler aus dem Off, eine chronologisch vielfach ineinander geschachtelte Erzählung, eine Femme fatale und ein mächtig herab gekommener Protagonist mit einer dunklen Vergangenheit, die sich dem Zuschauer erst nach und nach enthüllt. Václav Krskas Zde jsou lvi, der international unter dem Titel The Scars Of The Past geläufig ist, war nicht der erste Ausflug seines tschechischen Regisseurs aufs Terrain des Film Noirs. Bereits zehn Jahre zuvor hatte er mit Až se vrátíš… (CSK 1948), gemeinhin als Till You Return übersetzt, ein dunkles Drama um Gier, Obsessionen und Mordlust geschaffen, das international so unbekannt blieb wie auch der vorliegende Film. Die im Zentrum von Zde jsou lvi stehende Geschichte des Ingenieurs und Minenleiters Alexandr Sterba ist nicht frei von politischen und zeittypischen Reflexen, die im Kontext triftig und zugespitzt erscheinen. Zugleich bebildert sie ein individuelles Schicksal, das im Fortgang der Handlung nicht auf ein Regime und dessen Regel- und Richtwerk einer Bürokratie und ihre träge sadistische Kaste von Staatsbeamten reduziert wird. Besonders die beiden zentralen Frauenfiguren, Jana und Vilma, die sich in der Schlusssequenz begegnen, ohne einander zu erkennen, bringen eine besondere Kontur in dieses explizit von der kontrastreichen Bildsprache des US-amerikanischen Film Noirs geprägte Werk tschechischer Kinohistorie der späten Fünfziger. Exzellente Darsteller und die wunderbare Kameraarbeit Jaroslav Tuzars (Das höhere Prinzip, CSK 1960) kennzeichnen den Film als herausragende Leistung seiner Zeit. Genau diese Zeit reagierte allerdings nicht positiv darauf. Als im slowakischen Banská Bystrica 1958 ein Filmfestival stattfand, erachteten die parallel im gleichen Ort auf einer Konferenz unter Kulturminister František Kahuda tagenden Genossen gut ein Dutzend der dort gezeigten Filme als ideologisch anrüchig. Auch Zde jsou lvi erhiellt ein Aufführungsverbot und verschwand für Jahre im Giftschrank der Partei.
Mit seinen exzellenten Darstellern und einer stringenten Dramaturgie ist Václav Krskas Film Noir ein Werk, das auch hierzulande entdeckt werden und dem klassischen tschechischen Kino als exemplarisch fürs Filmschaffen der östlich gelegenen Nachbarn Deutschlands mehr Aufmerksamkeit verschaffen sollte. Doch davon, so scheint es, ist man heute weiter entfernt als vor 10, 20 Jahren. Zwar werden auch auf hiesigen Filmfestivals die Werke einer geografisch definierten Zusammenhörigkeit regelmäßig aus dem Dunkel ihrer Nische ans Licht gehoben. Aber solche Bemühungen sind meist kurzlebig, beziehen sich oft nur auf aktuelle Produktionen und gehen in der Hektik und in der Fülle des zeitgenössischen Filmgeschäfts im Nu wieder unter. In Tschechien gibt es von Zde jsou lvi eine DVD-Ausgabe (2015), doch die beinhaltet wie so viele klassische Produktionen aus Deutschland, lediglich die Tonspur in der Landessprache und ohne Untertitel in einer Fremdsprache. Auf dem Noir Film Festival 2015 in Křivoklát, Tschechien, wurde der Film inklusive englischer Untertitel auf großer Leinwand in bild- und tontechnisch gut restaurierter Fassung gezeigt.
Technisch sehr gute tschechische DVD-Edition (2015) von Filmexport Home Video s.r.o. mit dem Film ungekürzt im Originalformat, dazu die tschechische Tonspur mit (leider nur) tschechischen Untertiteln.