Neo Noir
| USA
| 2010
| Hossein Amini
| Mikael Håfström
| Benedict Wong
| Chow Yun-Fat
| David Morse
| John Cusack
| Li Gong
Bewertung
***
Originaltitel
Shanghai
Kategorie
Neo Noir
Land
USA/CHN
Erscheinungsjahr
2010
Darsteller
John Cusack, Li Gong, Chow Yun-Fat, Ken Watanabe, David Morse
Regie
Mikael Håfström
Farbe
Farbe + s/w
Laufzeit
100 min
Bildformat
Vollbild
© Wild Bunch Germany GmbH
Shanghai, China, im Dezember 1941: Der japanische Geheimdienstchef Tanaka (Ken Watanabe) lässt den US-amerikanischen Journalisten Paul Soalmes (John Cusack) von seinen Schergen verprügeln. Er möchte gern wissen, wo sich Anna Lan-Ting (Li Gong) aufhält, die Frau des Triaden-Bosses Anthony Lan-Ting (Chow Yun-Fat), mit der Soalmes offenbar ein Verhältnis hatte, aber der Gepeinigte weiß es selbst nicht… Zwei Monate zuvor kam Paul Soalmes mit dem deutschen Ehepaar Leni (Franka Potente) und Karl Müller (Christoph Buchholz) an Bord der Bremen direkt aus Berlin, der Hauptstadt des Dritten Reichs. Gleich bei ihrer Ankunft demonstrierte die japanische Geheimpolizei in der in internationale Sektoren aufgeteilten Stadt auf brutale Weise ihre Macht, indem sie am helllichten Tag einen vermeintlichen Widerstandskämpfer hinterrücks erschoss. China ist nahezu vollständig von Japan annektiert, die Metropole Shanghai ist die einzige Ausnahme. Paul Soalmes bezieht im Palace Hotel, im britisch-amerikanischen Sektor sein Quartier. Er ist nur scheinbar ein Journalist, de facto ist er ein Spion, ursprünglich Soldat der US Navy, in deren Auftrag er jetzt von Berlin nach Shanghai geschickt wurde. Hier soll Soalmes seinem Freund Conner (Jeffrey Dean Morgan) zur Seite stehen, der als Agent schon eine Weile vor Ort aktiv ist. Jener will sich heute Nacht mit Soalmes treffen und verabschiedet sich just von seiner opiumsüchtigen Geliebten Sumiko (Rinko Kikuchi), die zugleich die Freundin Tanakas ist…
Die im Jahr 2005 von Harvey und Bob gegründete Weinstein Company ist neben Dimension Films die zweite Produktionsgesellschaft der Brüder, die zuvor die enorm angesehene Miramax Films an Walt Disney verkauft hatten. Der Schwede Mikael Håfström war Regisseur einer der ersten Weinstein-Produktionen, nämlich des Neo Noirs Entgleist (USA/UK 2005) mit Clive Owen und Jennifer Aniston. Er wurde auch Regisseur dieses Projekts, das Wochen vor den für Juni 2008 geplanten Dreharbeiten gegen die Wand fuhr, als die chinesischen Behörden ihr Einverständnis für einen Dreh in der Metropole Shanghai zurückzogen und Weinstein mit 3 Millionen Dollar Verlust für bereits fertige Kulissen vor dem Nichts stand. In Bangkok und in London wurde der in Ausstattung, Kameraarbeit und Darstellung beeindruckende Film dann gedreht, mit einem Ensemble US-amerikanischer, chinesischer, japanischer, englischer und deutscher Akteure, die die politisch angespannte und exotische Bühne des Jahres 1941 bevölkern und fürs nötige Flair sorgen. Genau wie Michael Curtiz’ Casablanca (USA 1942) ist Håfströms Film schlicht nach seinem Handlungsort benannt und teilt sich noch mehr mit dem Hollywoodklassiker. Im Zentrum steht auch hier die kriegerische Geheimpolitik in einer in Sektoren geteilten Stadt, darin vor allem die am Weltkrieg noch nicht beteiligten US-Amerikaner um ihre Rolle ringen und sich für den Agenten bald auch amouröse Verwicklungen ergeben. Stilistisch und thematisch nimmt das Drehbuch von Hossein Amini (Die zwei Gesichter des Januars, UK/FRA/USA 2014) reichlich Anleihen beim Film Noir, der ja 1941 seine Geburtstunde hatte, vom Erzähler aus dem Off über viele zwielichtige Charaktere mit je dubioser Vergangenheit und uneindeutigen Absichten bis zur Femme fatale, welche die erfahrene Li Gong (Shanghai Serenade, FRA/CHN 1995) mit aller gebotenen Raffinesse zum Leben erweckt.
© Wild Bunch Germany GmbH
”Women always win in the end. They forget us more easily.” Shanghai ist ein konservativer Thriller im Film-Noir-Stil, so als sei die Entwicklung des Kinos übers Jahr 1959 nie hinausgekommen. Für diesen Effekt nutzen Autor und Regisseur exquisite Zutaten, und kaum hat die visuell eindrucksvolle Schau begonnen, stellt sich beim Zuschauer das Gefühl ein, hier habe man womöglich alles richtig angefasst. Aber das stimmt nicht. Mit epischen Proportionen in jedem zweiten Bild und einer Vielzahl von Handlungsträgern leidet Shanghai an seinen knapp bemessenen 100 Minuten. Manche Rollencharaktere sind kaum angerissen, entwickeln wenig Eigenleben, Schnittfolgen erscheinen hastig, werden durch die Off-Erzählung überbrückt, ohne dass der Zeitraum, in dem die Handlung spielt, klar wird. So schenkt man der Tarnung Paul Soames’ als Journalist nur wenig Aufmerksamkeit, Franka Potente und Christopher Buchholz haben als Diplomaten des Dritten Reichs nur dekorativen Charakter, ihre Rollen sind klischeehaft blass, nach dem ersten Drittel verschwinden sie. Mit dem Finale verliert der Film viele Stränge endgültig aus dem Blick. Der Zuschauer wundert sich, die Luft ist raus, das Ende wirkt hastig und leider auch unglaubwürdig. Mit seinen Talenten vor und hinter der Kamera hätte Shanghai ein besserer Film werden müssen. Ich bin geneigt, das dem Regisseur anzukreiden, dem dies mit einem Budget von 50 Millionen US-Dollar nicht gelang. Das Werk hat einen hohen Schau- und einen leidlichen Unterhaltungswert, kaum einer wird sich wirklich ärgern, darüber hinaus sollte man nicht viel erwarten. Ironie des Schicksals: Shanghai hatte im Juni 2010 in jener Stadt seine Premiere, in der er nicht hatte gedreht werden dürfen. In den USA kam er gar nie ins Kino; dort gibt es bis heute noch nicht mal eine BD oder DVD davon.
Sehr gute BD- und DVD-Editionen (2012) der Senator Home Entertainment GmbH mit dem Film ungekürzt im Originalformat, deutsche oder englische Tonspur, optional deutsche Untertitel, als Extras Kurzinterviews, eine B-Roll und den original Kinotrailer.