Mann beißt Hund

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Eddie Muller


Wenn es Nach wird in Paris


Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
****
Originaltitel
C'est arrivé près de chez vous
Kategorie
Neo Noir
Land
BEL
Erscheinungsjahr
1992
Darsteller

mit Benoît Poelvoorde, Jacqueline Poelvoorde-Pappaert, Nelly Pappaert, Hector Pappaert, Jenny Drye

Regie
Rémy Belvaux, André Bonzel, Benoît Poelvoorde
Farbe
s/w
Laufzeit
92 min
Bildformat
Widescreen
 

 

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Brüssel, Belgien: Benoît Patard (Benoît Poelvoorde) ist ein Mann, der sich mit wahllosen Morden an bevorzugt alten Menschen oder Geldbriefträgern seinen Lebensunterhalt verdient. Ein Filmteam mit Rémy (Rémy Belvaux) als Regisseur dreht eine Dokumentation über ihn und begleitet ihn auch ins Lebensmittelgeschäft seiner Mutter (Jacqueline Poelvoorde-Pappaert), bei der sich auch die Großmutter (Nelly Pappaert) und der Großvater (Hector Pappaert) einfinden. Alle wissen viel Gutes über Ben als Kind zu berichten, dessen heutige Profession sie aber offensichtlich nicht erahnen. Mit seinem Kameramann (André Bonzel) und dem Tonmann Patrick (Jean-Marc Chenut) begleitet Rémy den Mörder Ben bei seinem blutigen Geschäft und lauscht zwischen den Morden seinen Exkursen zur Architektur von sozialem Wohnungsbau oder zur bildenden Kunst, von denen Ben jeweils eine dezidierte Vorstellung hat. In früheren Zeiten besuchte er regelmäßig die Hure Jenny (Jenny Drye), doch längst ist er auch mit Valerie (Valérie Parent) zusammen, die er auf der Musikhochschule kennen lernte und mit der er gern musiziert. Über die Zeit kommen sich Ben und das dreiköpfige Filmteam auch menschlich näher. So lädt Ben schließlich alle zu einem üppigen Muschelessen ein. Als er jedoch eines Tages einen Taxifahrer (Paul Bottemanne) zwingt, einen VW Polo zu verfolgen, auf dessen Fahrer er schießt, hat das unerwartete Konsequenzen…
 
“Great Belgian Film Noir“, urteilte dreamstar70 in seiner Rezension für ciao.uk. Doch was hat solcher Low-Budget-Kult der Fühneunziger, der es in den USA in die erlesene Criterion Collection schaffte, mit dem Film Noir zu tun, abgesehen davon, dass er in Schwarzweiß gedreht wurde? Hierzu sollte man die Kategorien des traditionellen Film-Noir-Kinos nicht zu eng fassen und sich an der französischen Tradition der Stilrichtung orientieren. Erinnert der Serienmörder Benoît in seiner selbstherrlichen und egozentrischen Attitüde nicht an jemanden? Sicher! Das ist eine Mediensatire, befeuert durch das seit Ende der Achtziger populäre “Reality TV“, das den Voyeurismus seiner Zuschauer zu befriedigen suchte, nämlich teilzuhaben an „echten“ Problemen und „wirklichem“ Leiden an Stelle der Fiktionen in Unterhaltungsprodukten. Was heute in grotesken und mit materiellen Anreizen verbundenen TV-Produktionen, sogenannten “Reality-Shows“, fortwirkt, warf seinerzeit ethische Fragen auf, die Mann beißt Hund bis zu ihrem Schlusspunkt (und darüber hinaus) radikal auskostet. Dennoch zeigt der Film mehr als nur einen Ausschnitt spießbürgerlicher Unterhaltungsindustrie, deren Teil er vorgibt zu sein, worin das Bösartige des Werks wurzelt. Nein, Mann beißt Hund zeigt die Mechanismen und Manierismen von Herrschaft und Unterwerfung, ihre Funktionsweisen im Kosmos kleinbürgerlichen Verhaltens, die die Schauspieler (der scheinbaren Dokumentation) perfide genau exerzieren. Dabei observiert er auch solche, die mit Blick auf Kulturgeschichte als Strategien einer Bewältigung der Kleinbürgerlichkeit und grundsätzlich der Klassenzugehörigkeit zugeschrieben werden. Nur: Mann beißt Hund enkleidet sie jedweden Heldentums und reduziert sie auf die nackte Triebhaftigkeit. Das Ergebnis ist als Film extrem harter Stoff.
 
Bild Bild Bild
© Studiocanal GmbH
 
Benoît oder Ben, wie er gerufen wird, ist ein von krankhafter Sucht nach Anerkennung getriebener Spießer, der eine pseudophiliosophische – meist per se negative und vom Hass auf Andere beflügelte – Sicht auf die Welt breittreten muss, um sich und Andere von seinem Herrschaftsanspruch zu überzeugen. Dabei karrikiert er auffällig Figuren, wie sie Jean-Paul Belmondo oder Jean Gabin im klassischen französischen Kino dargestellt hatten – unerschütterlich männlich und selbstbewusst. Genau hier beginnt die Schwärze eines Werks, das die Grenzen herkömmlicher Unterhaltung überschreitet, indem es den Rahmen bekannter „Zynismen“ weit hinter sich lässt. Der Zuschauer sieht das pausenlos Exzesshafte und Aggressive Benoîts und wird durch die Defensive und Unterwerfung, mit der sich alle Welt gegenüber dieser Zumutung ordnet, dazu veranlasst, Benoîts Weg in den Abgrund nachzuverfolgen. Der Spiegel liegt im archaischen Ritus von Kommunikationsweisen, die Benoîts Herrschaftsanspruch nie in Frage stellen und seine Taten damit billigen. Mann beißt Hund ist ein Film über die Feigheit und Wankelmütigkeit der auf nacktem Materialismus basierenden Vertragsgesellschaft. Benoît selbst ist ein Film-Noir-Charakter, der das „Anti-“ im Antihelden als einen Endpunkt definiert, der finale Psychopath einer Noir-Tradition, die mit den Fünfzigern begann und nicht weit von Charakteren in frühen Filmen Lars Von Triers, etwa Spuren eines Verbrechens / The Element of Crime (DNK 1984).
 
Exzellente deutsche BD- und DVD-Edition von Arthaus / Studiocanal, die den Film (zu Recht FSK 18), ungekürzt und im Originalformat mit wahlweise deutschem oder französischem Ton, optional deutsche Untertitel und bildtechnisch topp präsentiert. Extras: geschbnittene Szenen, Kinotrailer und der Kurzfilm Pas de C4 pour Daniel Daniel (BEL 1987).
 

Neo Noir | 1992 | International | André Bonzel | Rémy Belvaux | Benoît Poelvoorde

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