Pre Noir
| International
| 1931
| Robert Siodmak
| Albert Bassermann
| Gerhard Bienert
| Gustav Fröhlich
| Heinrich Gretler
| Julius Falkenstein
Bewertung
***
Originaltitel
Voruntersuchung
Kategorie
Pre Noir
Land
GER
Erscheinungsjahr
1931
Darsteller
Albert Bassermann, Gustav Fröhlich, Hans Brausewetter, Charlotte Ander, Anni Markart
Regie
Robert Siodmak
Farbe
s/w
Laufzeit
95 min
Bildformat
Vollbild
Berlin: Nicht weit vom Stadtbahnhof Friedrichstraße liegt die Mittelstraße, wo in der Nummer 63 die jungen Frauen Erna Kabisch (Anni Markart) und Mella Zier (Edith Meinhardt) unterm Dach eine gemeinsame Wohnung haben. Die eine weist das Klingelschild als Sprachlehrerin aus; bei Mella muss man wegen Maniküre zweimal klingeln. Während ein Herr in mittleren Jahren (Jakob Tiedtke) das tut, wird er von Anatol Scherr (Julius Falkernstein) durch den Spion in der Tür beobachtet. Mella ist entzückt, ihren Kunden begrüßen zu können, obgleich nicht Maniküre auf dem Programm steht… Indessen es sich die beiden gemütlich machen, hört man nebenan Geschrei. Erna und ihr Freund, der Student Fritz Bernt (Gustav Fröhlich), brüllen sich an. Fritz hat eine Andere kennen gelernt und will die Beziehung zu Erna, von der er drei Jahre lang auch materiell profitierte, endgültig beenden. Erna ist außer sich, sie droht ihm, und Fritz verlässt aufgebracht das Haus. In der luxuriösen Etage des Landgerichtsrats Konrad Bienert (Albert Bassermann) trifft Fritz Bernt seine neue Freundin Gerda (Charlotte Ander), die Tochter des Hauses. Deren Bruder Walter (Hans Brausewetter), ebenfalls Student, ist auch mit Fritz befreundet, der sich nun bei ihnen über Ernas Verhalten beklagt. Wenn diese wüsste, dass Gerda Bienert seine Freundin sei, hätten sie alle das Nachsehen. Indessen ist der Landgerichtsrat nach Haus gekommen, und Walter verlässt mit Fritz die väterliche Wohnung, um die Geschichte mit Erna Kabisch endlich ins Reine zu bringen…
„Siodmaks lange Reise durch das Noir-Universum beginnt mit diesem Film“, urteilt Armin Jäger über den legendären Regisseur in seinem Aufsatz zu Voruntersuchung, der in dem von Norbert Grob herausgegebenen Buch Filmgenres - Film Noir (2008) enthalten ist. Tatsächlich sind das Kompendium visueller Einfälle und die Experimente mit dem Ton, deren Siodmak sich hier bedient, in vieler Hinsicht richtungsweisend und stilbildend für seine späteren, in den USA entstandenen Film Noirs, die von 1944 bis 1950 auf Hollywoods Schwarze Serie einigen Einfluss hatten. Schon in Voruntersuchung wimmelt es von Ansätzen zu einer Film-Noir-Ausleuchtung und -Kameraführung. Nicht nur besticht der frühe Tonfilm durch seine Außenaufnahmen, was ihn z.B. von Werken Fritz Langs auffällig unterscheidet, sondern eben auch durch einen wunderbar pointierten Blick auf Räume, Perspektiven und das Zusammenwirken von Licht und Schatten im Kontext einer Bewegung. Wer Robert Siodmaks zweiten Tonfilm - der erste war Der Mann, der seinen Mörder sucht (GER 1931) mit Heinz Rühmann - mit einem cineastischen Auge auf die Vielfalt seiner Stilmittel prüft, wird hieran Genuss finden. Klasse zeigt auch Albert Bassermann (Erpressung / Die Frau mit der Narbe, USA 1941), der nach Machtergreifung der Nationsozialisten wie Siodmak ins US-amerikanische Exil ging, in der Rolle des Untersuchungsrichters Konrad Bienert.
Leider hinken Geschichte und Drehbuch und teils die Kunst anderer Darsteller der formalen Meisterschaft hinterher. Während Bassermann und mit ihm Julius Falkenstein, Oskar Sima und Hermann Speelmans überzeugen, fallen der allzu dramatische Gustav Fröhlich und Anni Markart deutlich ab. Der Student Fritz Bernt brüllt und tobt in Anbetracht von Bienerts dünner Beweislage und verrennt sich in ein Schicksalsleid, - für einen Film-Noir-Helden in den Klauen der Justiz hätte das triftig sein müssen! – wie es in seinem Pathos vom Zuschauer nicht nachvollzogen werden kann. Es wirkt im letzten Drittel fast komisch, zudem wird das Ende (als Auflösung) wie in US-amerikanischen Film Noirs der Frühfünfziger, als das Happy End vom Studio unter Garantie mitgeliefert wurde, derart aus dem Hut gezaubert, dass es den Eindruck des Films als Ganzes stört. Das ist schade, denn mit Blick aufs erste Drittel ist klar, dass hier mehr hätte drin sein können. Vielleicht ist es der Grund, warum Voruntersuchung konträr zu den Werken Fritz Langs oder Siodmaks sensationellem Stummfilm Menschen am Sonntag (GER 1929) bis dato nicht aus der Versenkung geholt wurde. Zugleich ist es auch bedauerlich. „Voruntersuchung ist kein meisterlicher Film noir, aber er wurde von einem Regisseur inszeniert, der in aller Ruhe experimentierte, Erfahrungen sammelte und erste, tastende Schritte im Noir-Universum unternahm“, schlussfolgert Armin Jäger im o.a. Filmessay, und das trifft es.
Es gibt weltweit keine BD oder DVD dieses Films, nicht einmal als Kopie aus dem Fernsehen in nicht restaurierter Fassung, o.ä. Mit etwas Glück lässt sich online eine Fassung mit spanischen Untertiteln anschauen, die bildtechnisch gerade noch durchgeht und lediglich im Ton erhebliche Schwächen zeigt. Für den erfahrenen Film-Noir-Freund und Robert-Siodmak-Fan lohnt sich dies allemal.