Neo Noir
| USA
| 1995
| Cornell Woolrich
| David Siegel
| Peter Bogdanovich
| Scott McGehee
| Benicio del Toro
| Miguel Ferrer
| Peter Berg
| Richard Portnow
| William Petersen
| Grace Zabriskie
| Jennifer Grey
Bewertung
****
Originaltitel
Fallen Angels - Season 2
Kategorie
Neo Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1995
Darsteller
Eric Stoltz, Jennifer Grey, Benicio del Toro, Peter Berg, Miguel Ferrer
Regie
Peter Bogdanovich, Michael Lehmann, Keith Gordon
Farbe
Farbe
Laufzeit
99 min
Bildformat
Vollbild
Zwischen 1990 und 1997 hatte der Film Noir im Retrokleid eine zweite Renaissance. Bereits in den Mittsiebzigern hatten Filme wie Chinatown (USA 1974) und Fahr zur Hölle, Liebling! (USA 1975) den nostalgischen Blick in die Zeit des Film Noirs bedient. Von Jack Nicholsons Die Spur führt zurück (USA 1990) über Howard Franklins Der Reporter (1992) und Carl Franklins Teufel in Blau (USA 1995) bis zu Curtis Hansons L.A. Confidential (USA 1997) feierte der Retro Noir komplementär zu den Neo Noirs John Dahls, Quentin Tarantinos oder David Lynchs seine Wiederauferstehung.
Auch die US-Fernsehproduktion Fallen Angels fällt in diese Jahre. In zwei Staffeln, erst 1993 und dann 1995, verfilmten Kinoregisseure in Episoden zwischen 30 und 60 Minuten Spielzeit Kurzgeschichten klassischer Film-Noir-Autoren wie Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Cornell Woolrich, David Goodis, Mickey Spillane und Walter Mosley. Privatdetektive, Polizisten und Undercover-Agenten mit Hut und im Zweireiher drückten sich erneut die Klinke in die Hand, um jeweils einer Femme fatale und Abgründen menschlicher Natur zu begegnen. Unter den Darstellern fanden sich Laura Dern, Tom Hanks, Danny Glover, Peter Coyote, Bill Pullman, Benicio del Toro und Cynda Williams. Mit Heather Graham, Miguel Ferrer, Grace Zabriskie, Jack Nance, Mädchen Amick und Regisseur Tim Hunter gab es auffällig viel Personal der TV-Serie Twin Peaks (1990/91). Zu den Regisseuren zählten im Übrigen Tom Cruise, Steven Soderbergh, Peter Bogdanovich und John Dahl. Einer der ausführenden Produzenten war Sydney Pollack – lauter Hollywoodgrößen also. Nach sechs Episoden der ersten Staffel folgten 1995 weitere neun. Es ist jene zweite Staffel, die in Form einer dreiteiligen DVD-Edition 2003 hierzulande und in England als Perfect Crimes auf den Markt kam. Der Titel sollte wohl ein Krimipublikum ansprechen, dem sowohl der Los-Angeles-Bezug des Originals unklar als auch Otto Premingers Film Noir Fallen Angel (USA 1945) unbekannt war. Mit Wong Kar-wais Hong-Kong-Film Fallen Angels (HK 1995) hat die Fernsehserie nichts zu tun.
Die Episoden wurden für die deutsche DVD-Edition zwar synchronisiert, doch stimmt großteils weder die Übersetzung noch geben die deutschen Stimmen die Merkmale der Originalstimmen nur ansatzweise wieder. Man muss folglich auf die englische Tonspur zugreifen, will man die mindeste Film-Noir-Atmosphäre genießen. Die Filmtitel selbst wurden nicht übersetzt, doch erläuternd heißt es im Innenteil der 3DVD-Box: „Verbrechen und Liebe, Miezen und Moneten“. Welcher Film-Noir-Freund sich von einer so albern an die deutschen Fünfziger angelehnten Werbung angesprochen fühlen soll, bleibt ein Rätsel. Auf der englischen DVD liest man: "3 star-packed crime thrillers recreating the golden age of film noir”.
A Dime A Dance nach der Kurzgeschichte The Dancing Detective von William Irish alias Cornell Woolrich: Als eines Abends ihre Freundin und Kollegin Julie (L.B. Straten) nicht in das schäbige Tanzlokal kommt, wo Ginger Allen (Jennifer Grey) als Tänzerin ihr Auskommen findet, wird sie schnell unruhig. Kurze Zeit später stehen die Polizisten Nick Ballestier (Eric Stoltz) und Jack Malkov (Richard Portnow) in der Tür und befragen den Lokalinhaber Pat Marino (Wayne Grace). Julie wurde in ihrer Wohnung ermordet – von einem irrsinnigen Tänzer, der mit einer Leiche im Arm zu Poor Butterfly weiter tanzte…
Wunderbar! Altmeister Peter Bogdanovich (Bewegliche Ziele, USA 1968) serviert komplentär zu Jim McBrides Fearless in Perfect Crimes Vol. 2 den Höhepunkt dieser neun Episoden. Cornell Woolrichs Geschichte bot ihm eine exzellente Vorlage für 34 Minuten Film Noir in Reinkultur. Nicht der Kriminalfall nämlich sondern die Beziehungen der Personen liefern das entscheidende Noir-Element. Einzig so kann es sich entfalten und genau das hat Bogdanovich 1 zu 1 umgesetzt. Eric Stoltz und Jennifer Grey entwickeln eine gute Chemie, doch dass ausgechnet sie, einst Tänzerin Frances Houseman in Dirty Dancing (1987), als weiblicher Film-Noir-Charakter - neben Cynda Williams in Fearless – die eindeutig beste Leistung zeigt, ist fast schon eine Ironie des Schicksals.
Good Housekeeping: Ralph Fiske (Adam Baldwin) hat eine ganze Woche geschäftlich auswärts zu tun und seine Frau Helen (Dana Delany) bleibt allein Zuhaus. Noch in der Nacht seiner Abreise erhält sie ungebetenen Besuch von George (William Petersen) und Paco (Benicio del Toro). Die zwei Gangster nehmen Helen als Geisel und klären sie darüber auf, dass ihr Mann selbst ein Krimineller namens Frankie sei, der leibliche Bruder von George, und im Übrigen so gut wie tot…
Die Kurzgeschichte stammt von Bruno Fischer, das Drehbuch von Scott McGehee und David Siegel (The Deep End – Trügerische Stille, 2001). Good Housekeeping läuft auf eineVariation von William Wylers An einem Tag wie jeder andere (USA 1955) hinaus, in den Dialogen mehrfach wörtlich zitiert, und ist dafür auch nicht so übel. Weder das Schauspiel noch ein vorhersehbares Ende heben die Episode jedoch über den Durchschnitt der TV-Einheitskost hinaus, die den Großteil der Serie Perfect Crimes ausmacht, und so bleibt auch sie im Mittelmaß stecken.
The Black Bargain nach einer Vorlage von Cornell Woolrich: Drei junge Schönheiten betreten den Fahrstuhl eines vornehmen Hotels. Kurz darauf folgen ihnen die Gangster Augie (Peter Berg) und Vito (Peter Dobson) mit ihrem Boss Abbazzia (Miguel Ferrer). In der Suite tobt der Mobster über den Tod von sieben seiner besten Leute, die ein Rivale ihm am heutigen Tag in kürzester Zeit ermordete. Abbazzias Stern ist endgültig im Sinken begriffen. Doch Augie und Vito stehen zu ihm, und die Ladies sollen ihm die Nacht versüßen…
Nicht nur weil es keine herkömmliche Krinmigeschichte ist, gehört The Black Bargain als die wahrhaft bizarre Episiode der Serie zu ihren interessanten Höhepunkten. Das Ganze erinnert an David Lynch, ist mit zwei Darstellern aus Twin Peaks (1990/91) - Miguel Ferrer und Grace Zabriskie - auch exzellent besetzt, und läuft schon bald auf ein Einpersonenstück hinaus. Ferrer spielt den Gangsterboss hervorragend und das Finale ist – neben der wunderbaren Fotografie – durch und durch Film Noir. Ambivalenz und Sozialdarwinismus, der Wurzelgrund von Woolrichs Story, werden von Regisseur Keith Gordon kongenial inszeniert und machen die dritte Folge der Serie Perfect Crimes damit zu einer Empfehlung für den Film-Noir-Liebhaber.
Eine optisch und technisch gute DVD-Edition der mediacs AG, mit einem einwandfreien Bild im Originalformat und in ungekürzter Laufzeit, wahlweise (eine ungenießbare) deutsche oder englische Tonspur, optional deutsche Untertitel, sehr ansprechende Menüführung.