John Travolta, Christopher Meloni, Amanda Schull, Sam Trammell, Patrick St. Esprit
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Columbus, Ohio: In lokalen Fernsehnachrichten berichten verschiedene Sender über eine Welle der Gewalt, die vor allem von organisierten Banden ausgeht und inzwischen auch in der Zivilbevölkerung viele Opfer forderte. Der Gouverneur des Bundesstaates Ohio, John Merserve (Patrick St. Esprit), tritt jedoch selbstbewusst vor sein Publikum und macht deutlich, dass die Zahl der Verbrechen sich unter seiner Regentschaft nahezu halbiert habe. Als einige Zuhörer lautstark nach einer Meinung zur geplanten Ölpipeline nachfragen, gibt John Merserve zu verstehen, dass er selbst bezüglich solcher Planung über ein Gutachten in Auftrag gab, welches richtungsweisend sein werde. Zuhause vor dem Fernseher weist Abbie Hill (Amanda Schull) ihre Mutter Vivian darauf hin. Genau sie arbeitet als Beraterin für Gouverneur Merserve und nimmt die Risikoabschätzung jener Pipeline vor, die von vielen Einwohnern des Staates Ohio kritisch gesehen wird. Der hochrangige Manager der örtlichen Honda-Niederlassung, Stanley Hill (John Travolta) kehrt von einem Inlandflug nach Kalifornien zurück und wird von seiner Ehefrau Vivian (Rebecca De Mornay) am Flughafen abgeholt. Er berichtet, dass seine Bewerbung positiv verlaufen sei und sich die beiden womöglich schon bald im Sonnenstaat wiederfänden… In der Tiefgarage tritt plötzlich ein junger Mann, Charley Lawes (Luis Da Silva jr.), auf die beiden zu und bittet sie um Geld. Stanley, dem das verdächtig vorkommt, wiegelt ab, doch wird er im nächsten Augenblick hinterrücks niedergeschlagen…
Stanley: “Is he dead?” - Dennis: “Well, he's not looking that well.” Wenn der schlechteste und für die Rolle offensichtlich völlig ungeeignete Schauspieler des Films der Hauptdarsteller ist, läuft mit Sicherheit einiges aus dem Ruder. Hatte der damals 51-jährige Hollywoodstar John Travolta in dem Neo Noir Lonely Hearts Killers (GER/USA 2006) noch eine überzeugende Leistung gezeigt, so ist er 10 Jahre später gänzlich auf der Bereifung. Eindeutig zu übergewichtig, zu steif und mit eingefrorener Mimik schleppt sich Travolta samt Toupet durch diesen vermeintlichen Action-Thriller, der das althergebrachte Motiv der Rache, wie man es aus dem Film Noir (Cornered, USA 1945) und aus dem Neo Noir (Memento, USA 2000) kennt, nach altbewährter Rezeptur aufwärmt. Über einige bestenfalls lauwarme Szenen kommt die B-Produktion unter Regie von Chuck Russell jedoch zu keinem Zeitpunkt hinaus. Das Drehbuch verfasste Paul Sloan, der selbst in der Rolle des Kingpins der Unterwelt von Columbus namens Lemi K zu sehen, nach einer Erzählung des französischen Autors, Produzenten und Regisseurs Yvan Gauthier. Lemi K läuft gern mit nacktem, eingeöltem Oberkörper herum, lässt Überbringern schlechter Nachrichten mit der Gartenschere Finger abschneiden und lebt in einer Art Nachtclub, wo er von jungen Damen in Badeanzügen umgeben ist. Wer glaubt, das seien die einzigen schmerzhaft dämlichen Klischees des Machwerks, wird sich getäuscht finden. Denn natürlich war der in der Automobilbranche tätige Stanley Hill in einem früheren Leben ein trainierter Special Agent der CIA, der mit seinem Kumpel Dennis (Christopher Meloni) reihenweise Menschen ins Jenseits beförderte. Und natürlich lebt auch Dennis in Columbus, und während Stanley seinen Waffenkoffer in einem Hohlraum hinterm Einbauschrank versteckt hält, - Chad Stahelskis John Wick (USA 2014) lässt grüßen - hat Dennis, der einen Friseursalon betreibt, seine Kellerräume zu einem Waffenlager mit Schießstand eingerichtet. Warum auch nicht? Man weiß nie, wozu das noch nützlich sein kann, wenn z.B. so ein Hitzkopf wie Stanley Hill auf dem Rachepfad entsprechend ausgerüstet und tatkräftig unterstützt werden muss. Meine Güte! Wie absurd und stupide kann solch ein Thriller von der Stange sein? Chuck Russells I Am Wrath beweist: Nach unten ist die Grenze nie definiert. Es geht immer weiter abwärts.
"Rage – Tage der Vergeltung [deutscher BD- und DVD-Titel, Anmerkung d. Verf.] ist sicher nicht der schlechteste Rachethriller, (…) aber einer, der so unmotiviert ist, dass man es sich eigentlich auch hätte sparen können, ihn zu drehen“, resümiert Oliver Armknecht für film-rezensionen.de, und dem ist im Grunde kaum etwas hinzuzufügen. Vergleicht man John Travolta (geb. 1954) mit Liam Neeson (geb. 1952) oder auch mit Bruce Willis (geb. 1955) in vergleichbaren Rollen, hätte jedem Produzenten und Regisseur schon beim Casting auffallen müssen, dass John Travolta 22 Jahre nach Quentin Tarantinos Pulp Fiction (USA 1994), dank dessen auch Willis einst ein Comeback feierte, für eine solche Rolle zu 100% ungeeignet ist. Der klassische Film Noir brachte einst den hüftsteifen George Raft (Hyänen der Unterwelt, USA 1952), der ab Mitte 40 in seinen Kampfszenen nurmehr grotesk wirkte, und ebenso wirkt Travolta hier fehlbesetzt. Ironie des Schicksals ist, dass ursprünglich Nicolas Cage für die Rolle vorgesehen war, ein Schauspieler, der wie Travolta und Willis seit dem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts mit reihenweise miserablen Direct-to-Video-Produktionen seinen eigenen Niedergang zelebriert. Übrigens traten Willis und Travolta für Paradise City (USA 2022) wieder gemeinsam vor die Kamera – ein Rachethriller unter der Regie Chuck Russells. Frei nach dem Motto: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.“
Unter dem Titel Rage – Tage der Vergeltung gibt es von dem Film, der in Deutschland nie im Kino lief, eine jeweils gute BD- bzw. DVD-Edition (2016) der Ascot Elite Home Entertainment GmbH mit dem Film ungekürzt im Originalformat, dazu die englische Tonspur eine deutsche Synchronisation, optional deutsche Untertitel, sowie den US-Kinotrailer als Extra.