Liam Neeson, Diane Kruger, January Jones, Aidan Quinn, Bruno Ganz
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Der US-amerikanische Biologe Dr. Martin Harris (Liam Neeson), Langemore University, ein Wissenschaftler von internationalem Renommee, befindet sich mit seiner Frau Elizabeth Harris (January Jones) im Anflug auf den Flughafen Tegel in der deutschen Hauptstadt Berlin. Bei der Passkontrolle gibt er auf die Frage nach dem Grund seiner Reise an, auf dem zehnten Biotechnology Global Summit einen Vortrag zu halten. Draußen vor dem Terminal stellen die Gäste fest, dass es an diesem 20. November schneit und sie nehmen ein Taxi, indessen Elizabeth, die bereits auf der Rückbank Platz nahm, Martin zuruft, ihren Fahrer die Koffer einladen zu lassen und selbst einzusteigen. Dadurch aber bleibt Martins Aktenkoffer auf einem Gepäckwagen liegen, während das Taxi nun abfährt... An der Siegessäule und am Brandenburger Tor vorüber führt die Fahrt zum Portal des Hotels Adlon, dessen luxuriöse Kulisse auch Austragungsort des Kongresses werden wird. Elizabeth geht zügig durch die Glastür zur Rezeption, wo sie dem Portier (Michael Baral) ihrer beider Ankunft verkündet und dass sie und ihr Mann die Eisenhower-Suite gebucht hätten. Der Hotelangestellte gibt ihr zu verstehen, dass es aus Gründen der Sicherheit eine Umbuchung gegeben habe, und Mrs. Harris zeigt sich irritiert. Währenddessen stellt Martin Harris am Taxi stehend fest, dass sein Aktenkoffer am Flughafen Tegel zurückblieb. Zum Erstaunen Elizabeths, die es von drinnen beobachtet, winkt er ein nächstes Taxi herbei und begibt sich auf den Rückweg…
“We Germans are experts at forgetting. We forgot we were Nazis. Now we have forgotten 40 years of Communism - all gone." Die englischsprachige, internationale Co-Produktion des spanischen Regisseurs Jaume Collet-Serras ist eine Adaption des Romans Hors de moi (EA 2003, auf Deutsch 2011 als Unknown Identity) des französischen Schriftstellers Didier van Cauwelaert. Mit dem Iren Liam Neeson, der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten im Jahr 2010 ganze 57 Jahre alt war, ist solcher Thriller zugleich Vehikel für einen Filmstar, der durch Pierre Morels Taken (FRA/UK/USA 2008) nach einem Skript Luc Bessons und Robert Mark Kamens unerwartet zu einem Schauspieler für Rollen in Actionfilmen geworden war. Neeson beweist trotz seines Alters Vitalität und Beweglichkeit in Unknown Identity, der kein (reiner) Actionfilm ist oder sein will, in einigen Szenen von ihm und anderen, allen voran von der 24 Jahre jüngeren Diane Kruger, jedoch körperlichen Einsatz und Sportlichkeit verlangt. Kruger spielt die aus Bosnien illegal nach Deutschland eingereiste Gina, die sich 4000 Euro ersparen will, um falsche Papiere zu erwerben – fast wie Taxifahrer Toni Sponer (Gustav Fröhlich) in Emil E. Reinerts Gefährliches Abenteuer / Abenteuer in Wien (AUT/USA 1952). Clint Dyer spielt den aus einem afrikanischen Land stammenden Biko, der als Taxifahrer Geld an die Familie in der Heimat sendet. Bruno Ganz verkörpert Privatermittler Ernst Jürgen, ehemals Stasi-Offizier und Spion, der mit Stolz auf die DDR zurückblickt. Nur er erkennt das Muster einer Konspiration, als Dr. Martin Harris bei einem Verkehrsunfall im Taxi von der Oberbaumbrücke stürzt, vier Tage später aus dem Koma erwacht und im Hotel Adlon von Elizabeth als Ehemann verleugnet wird. An seiner Stelle gibt es plötzlich einen anderen Dr. Martin Harris (Aidan Quinn), der belegen kann, solcher Biologe der Langemore University und Gatte der hübschen Liz Martin zu sein.
“Unknown is another great showcase for Neeson’s gruff anti-hero persona (…) a modern-day Hitchcock thriller viewed through a neo-noir lens”, schreibt Jamie Brackell für Pop Culture Bandit. Obgleich ich mich zu Beginn mit der vollends auf Spannung und Schauwerte à la Hollywood angelegten Konzeption schwertat, kann ich mich mit Brackells Sichtweise zuletzt anfreunden. Der Grund ist, dass mich Jaume Collett-Sera mit seiner fast 2-stündigen Tour de force keine Sekunde langweilte. Wenn es einen Film Alfred Hitchcocks gibt, der als Inspirationsquelle diente, ist das sicher Der unsichtbare Dritte (USA 1959) mit Cary Grant, damals 56 Jahre alt, und Eva Marie Saint, über 21 Jahre jünger – auch die Schlusssequenz ist dezidiert eine Reminiszenz an solches Vorbild. In Hitchcocks Geburtsstunde des modernen Thrillers wird Grant jedoch Opfer einer Verwechslung. Er weiß um seine falsche Identität. In Collet-Serras Film ist Neeson aufgrund seines Unfalls ein Opfer von Amnesie. Er ringt um seine wahre Identität. Letzteres hat im Film Noir der klassischen Ära vielfach Tradition: in Joseph L. Mankiewicz‘ Somewhere In The Night (USA 1946) und in Robert Floreys Herr der Unterwelt (USA 1949) fahnden die Protagonisten nach ihrer Identität aus einem Vorleben, das unter Trümmern des Zweiten Weltkriegs ihrer Erinnerung entzogen bleibt. Auch sie erhalten jeweils den Beistand einer Schönheit, die in ihr Schicksal unentrinnbar verwickelt wird. Leider sind in Unknown Identity der letzte Twist und das Finale völliger Mumpitz, wofür es einen Stern Abzug geben müsste… Aber das wollte ich Bruno Ganz, Diane Kruger, Frank Langella und Liam Neeson, die alle exzellent aufspielen, nicht antun. Und mir auch nicht.
Es gibt jeweils sehr gute deutsche BD- und DVD-Editionen (2011) der Studiocanal GmbH mit dem Film ungekürzt im Originalformat, bild- und tontechnisch topp, dazu die original englische Tonspur und die deutsche Kinosynchronisation, optional deutsche Untertitel, obendrein ein Behind The Scenes und eine Kurzdokumentation betitelt Liam Neeson – Action Hero sowie diverse Interviews als Extras.