Stephanie Sigman, Noé Hernández, Irene Azuela, J.R. Yenque, Juan Carlos Galván
© Twentieth Century Fox Film Corporation
Tijuana, Baja California, Mexiko: Die 23-jährige Laura Guerrero (Stephanie Sigman) wohnt mit ihrem Vater Ramón (Javier Zaragoza) und mit ihrem jüngeren Bruder Arturo (Juan Carlos Galván) in einem ärmlichen Viertel der Stadt. Sie leben vom Handel mit Kleidung, und heute steckt Laura ein hübsches, eigenes Kleid in eine Plastiktüte, bevor sie dem Bruder hilft eine Tasche mit Textilien zu bepacken, die der Vater ausfahren muss. Sie räumt sie auf die Ladefläche seines Autos und erwähnt, dass sie am Schönheitswettbewerb zur Wahl der Miss Baja teilnehmen wolle. Ramón Guerrero aber hält nicht viel davon. Er habe eine Abneigung gegen solches Millieu. Seine Tochter bittet ihn dennoch darum, ihr zu vertrauen. Als der Vater fort ist, ermahnt sie Arturo jetzt allein zur Schule zu gehen, sie werde erst spät am Abend zurückkehren. Von einem Aussichtspunkt blickt Laura auf die Brandung des Pazifiks, bevor sie von ihrer Freundin Azucena “Zuzu“ Ramos (Lakshmi Picazo) gerufen wird. Sie müssten sich beeilen, die Schlange vor dem Eingang sei bereits sehr lang. Laura lässt sich am Empfang registrieren, wo man ihnen mitteilt, dass sie spät dran seien, aber Zuzu war zuvor bereits hier und hat jemanden angewiesen, ihr einen Platz freizuhalten. Trotzdem kommt es zu lauten Beschwerden, als sie ungeniert an der Schlange vorbeiziehen. Schließlich aber kann Laura bei Luisa Janes (Leonor Victorica) vorsprechen, die moniert, dass Laura noch nicht umgezogen sei, ihr dann aber trotzdem eine Chance gibt sich zu präsentieren…
Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) verlieh Gerardo Naranjos eindrucksvollem mexikanischen Neo Noir und Kritikererfolg das „Prädikat besonders wertvoll“, und ich halte es für eine ganz und gar berechtigte Einstufung. Nur selten sah ich in den letzten 20 Jahren eine Produktion, die mich so berührte und zugleich überzeugte wie Miss Bala. Der Film erzählt die Geschichte einer jungen Frau, Laura Guerrero, aus einfachen Verhältnissen, die wie viele ihrer Generation von einem Erfolg träumt, der ihr einen Ausweg aus jenem ärmlichen und begrenzten Dasein ermöglichte. Aber als sie an dem Abend, nachdem sie beim Schönheitswettbewerb für die Miss Baja zugelassen wurde, mit ihrer Freundin Zuzu und deren Freund Javi Fernández (Hugo Márquez) den Nachtclub Millennium aufsucht, gerät sie in einen Anschlag des örtlichen Drogensyndikats La Estrella unter Führung des skrupellosen Berufsverbrechers Lino Valdez (Noé Hernández). Insgesamt 12 Menschen werden von den Gangstern hingerichtet, indessen es Laura gelingt zu entkommen. Die Polizei, deren Funk von den Gangstern abgehört wird, erreicht den Tatort erst, als alles vorüber und die Mörder auf und davon sind. Zudem bleibt Lauras Freundin Azucena “Zuzu“ Ramos verschwunden. So wendet sich die aufgewühlte und fast verzweifelte Frau am nächsten Tag an den Streifenpolizisten Toñito, der sie auf die Wache zu bringen vorgibt, wo sie als Augenzeugin des Anschlags im Millennium eine Aussage machen könne. Tatsächlich liefert der korrupte Beamte sie aber an Lino Valdez aus. Von einem Moment zum nächsten sieht sich die junge Frau in einen Alptraum katapultiert, der bald nicht nur ihr eigenes Leben sondern auch dasjenige ihres Vaters und ihres Bruders bedroht. Nichts ist mehr, wie es war. Nichts ist mehr, was es zu sein scheint. Lauras Heimatstadt zeigt ihr wahres Gesicht. Deren ohnehin dünne Fassade eines bürgerlichen Miteinanders im Rahmen von Recht und Ordnung bietet ihr ab sofort keinerlei Schutzraum mehr.
Was gehört zu einem packenden Filmdrama und damit zu einem gelungenen Thriller? Zuerst eine lebensatte Geschichte, ein Drehbuch von Relevanz und stringenter Dramaturgie. Sodann Drehorte, die solcher Geschichte einen Rahmen geben und ihre Glaubwürdigkeit untermauern. Schließlich Darstellerinnen und Darsteller, die genau das verkörpern, was bis dato nur in der Vorstellung der Autoren und Regisseure vonstatten geht. Miss Bala hat alle diese Elemente. Sie verzahnen sich und bringen die Handlung in eine Gangart, die fern von der hysterischen Schnittfolge vieler zeitgenössischer Actionfilme auf die Charaktere und ihre Beziehungsdynamik rekuriert. Wollte ich Gerardo Naranjos Werk einordnen, das sich von den eleganten Klassikern der mexikanischen Film-Noir-Tradition der 40er und 50er klar unterscheidet und mit Fokus auf eine im Mahlwerk der Gesellschaft in Not geratene Frau zugleich darin spiegelt, ließe sich Emilio Fernández‘ Verbotene Straße (MEX 1951) anführen. Vor allem musste ich aber an Ron Marales‘ Graceland (PHI 2012) und an Erik Mattis On The Job (PHI 2013) denken, zwei philippinische Neo Noirs, die die Unmöglichkeit einer moralisch integren und wertegeleiteten Lebensführung in ihrer Heimat explizit anprangern. In solches Fahrwasser dirigiert Naranjo auch Miss Bala und beweist sowohl Präzision als auch Einfühlungsvermögen. Währenddessen fand ich mich mitgerissen, zu guter Letzt tief beeindruckt. Sicher, das ist alles andere als leichte Kost, jedoch unbedingt enpfehlenswert!
Von der Twentieth Century Fox Home Entertainment Deutschland GmbH gibt es eine sparsam ausgestattete, bild- und tontechnisch aber exquisite deutsche DVD-Edition (2013), ungekürzt und im Originalformat mit dem spanischen Originalton und mit der deutschen Kinosynchronisation, optional deutsche und englische Untertitel und den original Kinotrailer als Bonus.