Native Son

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Eddie Muller


Wenn es Nach wird in Paris


Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
****
Originaltitel
Sangre negra
Kategorie
Film Noir
Land
ARG/USA
Erscheinungsjahr
1951
Darsteller

Richard Wright, Jean Wallace, Gloria Madison, Nicholas Joy, Charles Cane

Regie
Pierre Chenal
Farbe
s/w
Laufzeit
108 min
Bildformat
Vollbild

 


 

 

Chicago, Illinois: Die so prachtvolle und beeindruckende Metropole hat eine Kehrseite, die sie fast nie zeigt: die Gettos der afroamerikanischen Bevölkerung. Hier lebt in ärmlichen Verhältnissen Witwe Hannah Thomas (Willa Pearl Curtiss) mit ihrer Tochter Vera (Lidia Alves) sowie mit ihren Söhnen Buddy (Leslie Straughn) und Bigger (Richard Wright), der mit 25 Jahren das älteste der Kinder ist. Soeben flitzt eine Ratte durch Küche und Stube, die schon seit Tagen die Familie plagt, doch Bigger gelingt es sie mit einem Topf zu erschlagen. Er greift das tote Tier am Schwanz und ärgert seine Schwester, die in Ohnmacght fällt, sehr zum Verdruss der Mutter. Bigger überlässt es Buddy die Ratte nach draußen zu befördern, wo jener Panama (George D. Green) begegnet, der ihn nach Bigger fragt. Kurz darauf kommt der Älteste die Treppe hinunter, und Panama kramt einige Metallteile aus seinem Jackett, die er an den Erstgeborenen der Thomas-Familie übergibt, der damit eine Pistole bauen will. Zur gleichen Zeit betritt Miss Emmett das Haus und fragt Hannah nach Bigger. Buddy erklärt ihr aufgeregt, dass sie eine Ratte mit dem Namen “Old Man Dalton“ totgeschlagen hätten. Als Miss Emmett nach dem Ursprung des Namens fragt, tritt Bigger ein und erklärt ihr, dass er ihren Vermieter Henry Dalton (Nicholas Joy) für eine Ratte hielte. Miss Emmett ist darüber nicht amüsiert, denn die Daltons suchten einen Chauffeur und sie habe ihnen als einen erfahrenen Fahrer Bigger Thomas empfohlen, trotz seines aktenkundigen Diebstahls… 

 

“Native Son is genuine noir… The recovery of this film gives us an essential and previously missing link in mid-20th-century cinematic history”, resümiert Eddie Muller, Moderator von Noir Alley (TCM) und Präsident der Film Noir Foundation, San Francisco, in Anbetracht der durch die Library Of Congress hochwertig restaurierten, 2016 im New Yorker Museum Of Modern Art uraufgeführten und erstmals seit 1951 (und nur in Argentinien) ungekürzten Edition des obskuren Klassikers. Richtig! Denn wer nicht die 108-minütige Neufassung dieses Werks sieht, hat es im Grunde nicht gesehen. Die Kürzungen für die US-amerikanischen und für die europäischen Kinoaufführungen beliefen sich auf einen Umfang von 30 (!) Minuten. Das Herzensprojekt des französischen Regisseurs Pierre Chenal (Le dernier tournant, FRA 1939), eine Adaption des Romans Native Son (EA 1940) seines afro-amerikanischen Autors Richard Wright, das die beiden in Kooperation seit 1944 voranzutreiben suchten, war über Jahrzehnte hinweg nur in verstümmelten Fassungen zu sehen und erhielt schlechte Kritiken. Der Roman gilt bis heute als Meilenstein der schwarzen US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wider den Rassismus in den USA, der Film in gleichem Maß als minderwerige Obskurität. Letzteres ist eine Fehleinschätzung, wie die seit 2022 auf einer Blu-ray disc vorliegende, neue Fassung des Werks zeigt. Nach all den heftigen Kritiken, die vor allem das laienhafte Schauspiel der afro-amerikanischen Darsteller betreffen, war ich überrascht, wie gut das Werk in Sachen Dramaturgie, Kameraarbeit und Schauspiel doch ist. Jean Wallace, Nicholas Joy und Charles Cane waren US-amerikanische Professionelle. Viele der schwarzen Darsteller waren Laien, etwa Gloria Madison als Bessie Mears, Nachtclubsängerin und Freundin von Bigger Thomas, und auch Lidia Alves und Leslie Straughn, im Film Biggers Geschwister. Mich hat das teils holprige Schauspiel viel weniger gestört als in B-Produktionen, darin Vera Ralston (The Flame, USA 1947) oder andere, offensichtlich miese Akteure auftreten. Richard Wright, Autor des Romans, spielt die Hauptrolle, nachdem Canada Lee (Jagd nach Millionen, USA 1947), der Bigger Thomas in der Theateraufführung verkörpert hatte, aus gesundheitlichen Gründen absagen musste. Da man nicht in den USA drehen durfte, entstand das Chicago des Films fast vollständig in Buenos Aires, Argentinien.

 

 

“Leave them things to God, son. In His kingdom all men are equal.” – “Yeah, I know. But we don’t live there.” Chicago sieht anders als in jedem anderen Film der Zeit aus, aber es liegt nicht an Buenos Aires. Der Film spielt in Stadtteilen, die von der weißen Mittel- und Oberschicht aufgegeben und den Schwarzen der Stadt als Elendsquartiere zugesprochen wurden. Bigger Thomas ist ein Mann mit Ambitionen; er träumt von einer Karriere als Pilot. Aber er weiß, dass er aufgrund seiner Hautfarbe zu Lakaiendiensten veurteilt bleiben wird. Eine tief wurzelnde Bitterkeit treibt ihn in ein Dasein als Krimineller, meist zu Diebstählen. Als er die Chance bekommt, im Haus des begüterten und liberalen Henry Dalton und dessen Familie als Chauffeur zu arbeiten, wittert die Biggers Mutter dessen große Chance. Aber der Sohn, der ihr und Bessie gerecht zu werden sucht, gerät in der Welt der Weißen in für ihn widersprüchliche Situationen und begeht aus Angst einen folgenschweren Fehler… So wie James Allen (Paul Muni) in Ich bin ein entflohener Kettensträfling (USA 1932) oder Frank Chambers (John Garfield) in Im Netz der Leidenschaften / Die Rechnung ohne den Wirt (USA 1946) hat Bigger Thomas von Anbeginn keine Chance. Er ist zum Scheitern verurteilt; man ahnt es schnell. Bigger agiert und reagiert nicht gemäß dem gesellschaftlichen Kodex, der ihm einen Stempel aufprägt und über ihn ein Urteil spricht - einzig aufgrund seiner Hautfarbe. Folglich nimmt das Unheil seinen Lauf, darin der impulsive und hitzköpfige Mann selbst wie ein Brandbeschleuniger wirkt. Native Son ist (leider) kein Meisterstück, dafür sind die melodramatischen Töne des Endes und die limitierten Schauspielqualitäten seines Hauptdarstellers etwas zu störend. Doch erweist er sich als ein couragierter, in Anbetracht seines minimalen Budgets handwerklich erstaunlich geglückter und vor allem relevanter Film Noir. Empfehlenswert!

 

In den USA gibt es den Film via Kino Lorber in deren Reihe Studio Classics in der bereits erwähnten, topp restaurierten Fassung als Blu-ray disc (2022), erstmals ungekürzt im Originalformat, bild- und tontechnisch herausragend, ohne Untertitel und mit einem 32-seitigen Booklet voller Bildmaterial und einem Filmessay von Edgardo Krebs, dazu den extra für die Wiederaufführung gefertigten Re-release-Trailer. 

 


 

 

Film Noir | 1951 | International | Pierre Chenal | Charles Cane | Jean Wallace

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