Eva Henning, Ulf Palme, Birgit Tengroth, Anders Ek, Gösta Cederlund
Stockholm: Im Apartment eines Mannes namens Willy (Karl Arne Holmsten) trinkt der Gastgeber mit einer aufreizenden Frau (Anne-Marie Brunius) Champagner, die ihm zu verstehen gibt, dass sie schon andere Kerle als ihn unter den Tisch getrunken habe. Unter den Gästen sitzt Dagmar Brink (Eva Henning) am Klavier und spielt eine verhaltene Melodie, als die Frau sie auffordert einen Samba anzustimmen, der zum Tanzen geeignet sei… Schließlich verlässt Dagmar Brink die Wohnung und geht an einem Liebespaar (Sven-Eric Gamble, Sigbrit Molin) im Treppenhaus, das sich von ihr ertappt fühlt, achtlos vorüber, hinaus in die nasskalte Stille der Stadt bei Nacht. Auf einer Eisenbahnbrücke lehnt sie sich ans Geländer und blickt einem Zug hinterdrein, als ein älterer Herr (Gösta Gustafson) sie anspricht und ihr rät, es nicht zu tun, da er es nicht wert sei. Dagmar entgegnet, es gäbe keinen “Er“, und der Mann versucht, ihr eine Zeichnung zu verkaufen, doch sie gibt ihm nur 10 Kronen und läuft davon. Als sie in ihrer Straße am Begräbnisinstitut des Nachbarhauses vorübergeht, bleibt sie stehen und blickt auf die Urnen in der Auslage des Schaufensters. Schließlich erreicht sie ihre Wohnung, zündet sich in der Dunkelheit eine Zigarette an und lässt sich in einen Kaminsessel fallen. Da fällt ihr Blick auf den Eisenhaken in der Stuckrosette an der Decke… Als am nächsten Morgen die Putzfrau (Svea Holst) die Vorhänge zur Seite zieht und das Tageslicht in den Raum dringt, hängt Dagmar Brink leblos von der Decke ihres Wohnzimmers…
Ein privater Ermittler, der mehr oder minder erfolgreiche Schriftsteller Anders Wikner (Ulf Palme), begibt sich nach deren Selbstmord auf die Spur der Lebensgeschichte einer jungen Frau. Er wittert ein Mysterium und fühlt sich seiner Nachbarin aus drei Jahren, die er selbst kaum kannte, durch ihr selbstgewähltes Ableben verbunden. Die einzelnen Stationen von Dagmar Brinks Leben werden in ausgedehnten Rückblenden enthüllt, jede aus einer anderen Perspektive. Jede vervollständigt zugleich das Puzzle, welches der selbst ernannte Detektiv, jener Anders Wikner, unbedingt zusammensetzen möchte. Damit folgt Hasse Ekmans dunkles Drama weitgehend der narrativen Struktur von Robert Siodmaks Rächer der Unterwelt / Die Killer (USA 1946), wo der Versicherungsdetektiv Jim Reardon (Edmond O’Brien) gleichermaßen durch Interviews mit dessen Bekannten den gewaltsamen Tod des schwedischen ex- Boxers Ole Anderson (Burt Lancaster) – meist nur The Swede genannt - aufzuklären hofft, der wie in Ekmans Flicka och hyacinter den Beginn von Siodmaks Schlüsselwerk des Film Noirs markiert. Ekmans Vorgehen erweist sich allerdings von besonderer Raffinesse, weil der Film an seinem Ende wieder an den Beginn anschließt und die letzte Stunde im Leben der Dagmar Brink durch eine nur marginale Verschiebung des Fokus‘ für uns plötzlich eine andere Bedeutung gewinnt. Solches ist der Clou dieser Erzählung, der vieles in der scheinbar einfachen Biografie der jungen Frau in ein neues Licht rückt und den Film nicht nur historisch herausragend erscheinen lässt. Gesellschaftliche Tabus, die in vielen Film Noirs der USA in jener Zeit bestenfalls angedeutet (oder offen verdammt) wurden, werden überaus sensibel einem für die Zeit neuartigen, der Toleranz und der Empathie geschuldeten Verstehen zugeführt. Dabei ist Dagmar Brink keinesfalls die einzige Figur des Dramas, die mit einer Bürde durchs Leben geht bzw. durchs Leben ging.
Unter dem Titel Girl with Hyacinths wurde der bis heute außerhalb Schwedens kaum bekannte und von dem schwedischen Star-Regisseur Ingmar Bergmann enorm geschätzte Film im Jahr 2016 auf dem Filmfestival Noir City 14 in San Francisco wiederaufgeführt und zwar völlig zu Recht. Ekmans Film verzichtet auf Mord und Totschlag, doch das war eh nie ein Kriterium für den klassischen Film Noir, der vielmehr die Heimat der Privatdetektive, Femme fatales und der gebrochenen Charaktere ist, die mit Mühe und ohne Hoffnung durch ihr jeweiliges Leben straucheln. Vor diesem Hintergrund ist der von Kameramann Göran Strindberg (Die Ratten, GER 1955) in expressionische, meist nächtliche Szenarien getauchte Flicka och hyacinter ein europäischer Film Noir par excellence. Als eine schwedische Produktion macht er zudem deutlich, wie schon in jenen Jahren die skandinavische Filmproduktion zu einer ureigenen Qualität gefunden hatte, die bis heute in der Filmwelt nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit gefunden hat. Der Autor und Regisseur Hasse Ekman war zwischen 1946 und 1953 mit der Darstellerin Eva Henning verheiratet, die noch im gleichen Jahr auch in Ekmans Film Noir Den vita Katten (SWE 1950) auftrat, heute noch weniger bekannt als sein Vorgänger.
Eine wunderbar opulent gestaltete, mit zahllosen Extras versehene schwedische 2-DVD-Edition (2007) bringt den Film bild- und tontechnisch topp restauriert, ungekürzt im Originalformat mit dem original schwedischen Ton und dänischen sowie norwegischen Untertiteln, jedoch ohne englische UT, womit diese Ausgabe international kaum nutzbar ist. Eine dänische DVD-Edition (2008) unter dem Titel Pigen og hyacinten beinhaltet die gleiche Fassung mit je dänischen und norwegischen Untertziteln. In Zeiten, wo digitale Bildträger so viele Möglichkeiten eröffnen, ist und bleibt mir derlei Beschränktheit ein Rätsel, aber so müssen Cineasten weltweit auch über 10 Jahre nach Wiederveröffnetlichung dieses Meisterwerks auf eine BD oder DVD warten, die sie als Zielgruppe miteinschlösse. Beide Editionen sind in Deutschland nicht im Online-Handel erhältlich.