Burgess Meredith, Margo, Eduardo Ciannelli, John Carradine, Edward Ellis
Eine Kleinstadt in der Nähe New Yorks im Jahr 1920: Scheinbar Zeitung lesend biegt Trocker Estrella (Eduardo Ciannelli) zu Fuß in eine sonnenbeschienene Straße und blickt sich misstrauisch um, bevor er seine Kumpanen Garth Esdras und “Shadow“(Paul Guilfoyle, Stanley Ridges) herbeiholt und sie zu dritt ein Auto stehlen. In dem Augenblick, als der Motor starte, blickt Maria Romagna (Helen Jerome Eddy) aus dem Fenster ihres Hauses und informiert ihren Ehemann Bartolomio (John Carradine), dass drei Männer ihren Wagen entwendet hätten. Jener vermutet, dass es die Polizei gewesen sei, doch Maria erklärt, dass sie keine Uniform getragen hätten. Er weist Maria an, mit ihrem Sohn Mio (Bobby Caldwell) nach New York zu fahren. Im Auto befanden sich Unterlagen zu seinen politischen Aktivitäten, die ihn kompromitierten und auch seiner Familie gefährlich werden könnten… Vor der Baker & Crandall Factory beobachten die drei Diebe im gestohlenen Fahrzeug den Zahlmeister mit den Lohngeldern, den Trocker kaltblütig erschießt und dessenTasche er an sich nimmt. Bevor die Gangster mit ihrer Beute um die Ecke biegen, hat sich ein Zeuge (Frank Mills) die Ziffern des Nummernschilds gemerkt. Kurz darauf finden Polizeibeamte den Wagen und neben der Tatwaffe die Pamphlete und Papiere, die Bartolomio Romagna als Mann mit erheblichen Schulden enttarnen. Er wird zum Tod verurteilt und auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet… Sechzehn Jahre später hegen Jurastudenten erhebliche Zweifel am Verlauf des Prozesses…
Die in den USA als “Great Depression“ bezeichnete Phase des wirtschaftlichen Niedergangs in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts hat im Kulturschaffen viele Spuren hinterlassen. Neben den Erzählungen und Romanen aus der Feder von Dashiell Hammett, James McCain, Cornell Woolrich und Raymond Chandler, die dem Film Noir der 40er Jahre unmittelbar als Vorlagen dienten, fand die Weltwirtschaftskrise auch auf der Theaterbühne einen Wiederhall. Im Jahr 1935 wurde Maxwell Andersons Theaterstück Winterset mit dem New York Drama Critcs‘ Circle Award ausgezeichnet. Seit der Premiere am Martin Beck Theatre in New York im September 1935 hatten dort Burgess Meredith, Margo und Eduardo Ciannelli in 195 Vorstellungen die Hauptrollen gespielt. Dies taten sie auch in der von Alfred Antell inszenierten Adaption für die Leinwand, die vom erfolgreichen Studio RKO Radio Pictures vorgenommen wurde. Nach einem etwas rührseligen Start gelingt es Santell und seinem Autoren des Drehbuchs Anthony Veiller (Rächer der Unterwelt / Die Killer, USA 1946) durchaus, die nun in den 30er Jahren angesiedelte Erzählung um Bartolomios Sohn Mio (Burgess Meredith) und Garth Esdras Schwester Miriamne (Margo) auf Kurs zu bringen. Vom Urteil eines Juraprofessors und seiner Studenten zu den Versäumnissen und Fehlern des Prozesses gegen seinen Vater ermutigt, versucht Mio der Gerechtigkeit endlich Genüge zu tun und den wahren Mörder jenes Zahlmeisters und Dieb der Lohngelder ausfindig zu machen. Aber die Widerstände und Komplikationen, mit denen er fortan zu kämpfen hat, sind vielfältig.
“Oh, what are you talking about? You’re the skinny type that lives forever.” Die Dreißiger sahen Phil Goldstones The Sin Of Nora Moran (USA 1933) und Fritz Langs Blinde Wut (USA 1936) die Justiz hinterfragen und auch die Todesstrafe in den USA zumindest indirekt anprangern. Obgleich seit 1934 die Zensur durch den von Joseph Breen gnadenlos durchgesetzten “Hays Code“ - ursprünglich Motion Picture Production Code - in Hollywood einen zunehmenden Patriotismus schürte und sie sich auf politische, sexuelle und ethnische Kontexte erweiterte, - Breen war u.a. Antisemit – erwies sich 1936 das Tor für Sozialkritik und politische Kommentare noch nicht geschlossen. Winterset bietet viel, was 10 Jahre später im Film Noir zu voller Blüte gelangen sollte: einfache Leute ohne Hoffnung und Gangster ohne Skrupel in einem Land ohne Gerechtigkeit. Um zu überleben, geht es allen immer nur ums Geld, jenseits davon ist das Leben immerfort infrage gestellt. Doch leider schlägt Winterset beizeiten einen zu melodramatischen Ton an, wirkt die Botschaft stark mit der Brechstange herbeizitiert und im Predigerton dargeboten. Trotz zahlreicher Außenaufnahmen im New York der 30er Jahre erscheint der Film daher bühnenhaft und schwerfällig, was ihm nicht bekommt. Und so hinterlasssen die oben genannten Werke im Vergleich mehr Eindruck, demgegenüber eine Restauration von Winterset allemal wünschenswert wäre.
Winterset ist heute ein Film der Public Domain und mehrfach als bild- und tontechnisch miserable Kopie auf diversen DVD-Editionen wie der z.B. von Alpha Video (2003) veröffentlicht worden. Eine von The Film Detective herausgebrachte Neuveröffentlichung (2015) wurde wie alle DVDs in deren Reihe “Restored Classics“ publiziert, aber restauriert ist hier gar nichts, es ist die immergleiche, schlechte Fassung zu einem höheren Preis.