Lino Ventura, Bernard Blier, Francis Blanche, Claude Rich, Pierre Bertin
Fernand Naudin (Lino Ventura) handelt in der Provinzstadt Montauban mit Traktoren und ist heute Abend auf dem Weg nach Paris, um dem Ruf seines alten Freundes Louis (Jacques Dumesnil) zu folgen. Lezterer ist vor 15 Jahren nach Mexiko ausgewandert und hat nie wieder etwas von sich hören lassen. Früher waren die Partner Louis und Fernand beide kriminell. Heute kontrolliert allein Louis, ein reicher Mobster, mehrere Spielcasinos und eine Schnapsbrennerei in der Umgebung von Paris. Am frühen Morgen erreicht Fernand die Bowlingbahn von Henri (Paul Mercey), in deren hinterem Apartment sich Louis verborgen hält. Erst hier erfährt Fernand, dass Louis unheilbar krank ist und im Sterben liegt. Außer Fernand und Henri hat sich eine illustre Schar von Louis’ Partnern und Gefolgsleuten eingefunden. Die Brüder Raoul (Bernard Blier) und Paul Volfoni (Jeanb Lefebvre) kontrollieren das Glücksspiel, der deutschstämmige Théo (Horst Frank) ist für den Schnaps zuständig, Pascal (Venantino Venantini) und Bastien (Marc Ronay) sind die Handlanger für alle schmutzigen Arbeiten. Auf dem Totenbett übergibt Louis zur Überraschung der Anwesenden die Vollmacht über all seine Geschäfte und die Vormundschaft über seine Tochter Patricia (Sabine Sinjen) an Fernand Naudon. Kaum ist es gesagt, dreht er sich zur Seite und stirbt. Fernand Naudin ist keineswegs erpicht auf eine solche Erbschaft und bekommt sogleich den Neid und den Hass der Volfonis zu spüren, die sich in Anbetracht der Lage ausgebootet und betrogen fühlen…
“Les tontons flingeur (…) manages to be both a stylish pastiche of film noir thrillers of the past and an irresistibly funny comedy”, resümiert James Travers für seine Besprechung in Films de France und liegt genau richtig. Ursprünglich war diese Verfilmung des Romans Grisbi or not grisbi (EA 1955) von Albert Simonin gar nicht als Komödie gedacht. Erstmals 1954 hatte die Verfilmung eines Buches von Simonin die Aufmerksamkeit der Filmwelt geweckt, als Jean Gabin in Jacques Beckers Film Noir Wenn es Nacht wird in Paris (FRA/ITA 1954), das auf dem Roman Touchez pas au grisbi! (EA 1953) beruhte, sein Comeback feierte. Dessen Protagonist Max le Menteur spielte in den drei Büchern einer Trilogie die zentrale Figur, auch in dem 1955 erschienenen und abschließenden Grisbi or not grisbi. Und so wollte der Regisseur Georges Lautner seinerzeit erneut Jean Gabin für die Rolle des gealterten Max’ gewinnen, aber der forderte Mitsprache und bat sich Bedingungen aus, die Lautner nicht bereit war zu erfüllen. Mit Paul Meurisse als die zweite Wahl, der für Georges Lautner in den erfolgreichen Kriminalkomödien Das schwarze Monokel (FRA 1961) und Party mit zwölf Pistolen (FRA 1962) vor der Kamera gestanden hatte, wandelte sich die Intention der Drehbuchautoren Lautner und Michel Audiard, die hier erstmals zusammenarbeiteten. Als Meurisse dann wegen Gesundheitsproblemen absagte, entschied man sich für Lino Ventura, der zwar im französischen Film Noir der 50er Jahre heimisch gewesen war, aber nie zuvor auch eine komische Rolle innegehabt hatte. Aus heutiger Sicht hätte die Wahl kaum besser ausfallen können; das gesamte Ensemble ist grandios und spielt sich mit einer irrsinnigen Freude geradezu in einen Rausch, der die Gratwanderung zwischen den obenan von James Travers genannten Filmstilen bis zuletzt meistert.
Mein Onkel, der Gangster ist zu Teilen verblüffend gewalttätig und amoralisch, sogar von einer Härte, die jedem Film Noir Samuel Fullers gut zu Gesicht gestanden hätte. Doch in der nächsten Sequenz schwenkt die Gangart mühelos in wilden Humor und Aberwitz, als sei dieser Wandel völlig natürlich. In Frankreich ist Les tontons flingeurs, der von der Kulturkritik seinerzeit verrissen und als altbacken abgestempelt, vom Publikum zudem verschmäht wurde, längst ein Klassiker. Vor allem wegen seines subtilen Sprachwitzes wird der Film hoch gehandelt wird, lässt sich der nach Ansicht französischer Filmfreunde auch keinesfalls übersetzen und ist ganz in den mannigfachen Wendungen des französischen Slangs beheimatet. Die legendäre Küchenszene, während der Fernand nebst Kumpanen und Widersachern einem von Louis gebrauten Schnaps frönt, indessen ihnen die Konversation außer Kontrolle gerät, war von Audiard als überflüssig erachtet, von Lautner demgegenüber als Hommage an John Hustons Gangster in Key Largo / Hafen des Lasters (USA 1948) bewusst konzipiert worden. Obgleich der Film floppte, wiederholten Lautner und seine drei Hauptdarsteller Lino Venturta, Bernard Blier und Francis Blanche ihre Kooperation mit der Kalte-Krieg-Komödie Mordrezepte der Barbouzes (FRA/ITA 1964). Für den Film-Noir-Liebhaber, der sich nicht einzig dem Ernst eines Großteils der Dramen dieses Filmstils verpflichtet sieht, ist Mein Onkel, der Gangster ein wunderbares Werk im Nachhall der klassischen Ära.
Erstklassige französische BD- und DVD-Editionen (2012) von Gaumont Vidéo mit dem Film ungekürzt im Originalformat, bild- und tontechnisch einwandfrei restauriert, den original französischen Ton mit wahlweise französischen oder englischen Untertiteln. Als Extras gibt es den Kinotrailer, Audiokommentare von Georges Lautners und Venantino Venantini, Philip Durants Dokumentation Le secrets des Tontons sowie ein Making of unter dem Titel La cuisine de Tontons. Neben einer spanischen DVD (2013) als Gángsters a la fuerzas gibt es in den USA gibt je eine BD und eine DVD (2013) via Olive Films von ebenfalls exquisiter Qualität im Originalformat sowie mit englischen Untertiteln und lediglich dem Trailer als Extra.