Neo Noir
| International
| 2007
| Johnnie To
| Ka-Fai Wai
| Andy On
| Ching Wan Lau
| Eddie Cheung
| Ka Tung Lam
| Suet Lam
Bewertung
****
Originaltitel
San taam
Kategorie
Neo Noir
Land
HK
Erscheinungsjahr
2007
Darsteller
Ching Wan Lau, Andy On, Ka-Tung Lam, Kelly Lin, Kwok-Lun Lee
Regie
Johnnie To, Ka-Fai Wai
Farbe
Farbe
Laufzeit
86 min
Bildformat
Widescreen
Hongkong: Inspektor Chan Kwai-Bun (Ching Wan Lau) ist bei der Polizei im Bezirk Kowloon für seine mehr als ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden bekannt. Er ist überzeugt, in Menschen Geister und Dämonen erkennen und so in aussichtslosen Fällen die Täter enttarnen zu können. Eines Tages wird ihm Ho Ka-On (Andy On) als Assistent zugeordnet und Inspektor Bun kann einen weiteren Fall lösen. Doch ihre Partnerschaft dauert nicht lange. Als sein Vorgesetzter (Eddy Ko) in den Ruhestand geht, schneidet sich Inspektor Chan Kwai-Bun vor aller Augen ein Ohr ab, um es jenem als Geschenk mitzugeben. Nun wird er als geisteskrank aus dem aktiven Dienst entlassen und in den Ruhenstand versetzt… Jahre später arbeiten die Polizisten Wong Kwok-Chu (Kwok-Lun Lee) und Ko Chi-Wai (Ka-Tung Lam) an einem Fall, in dessen Verlauf sie nach einem Dieb von Kanaldeckeln fahnden. Als sie ihn eines Nachts an einem einsamen Ort stellen, entwischt der Mann (Singh Hartihan Bitto) in ein Waldstück, und die beiden Polizisten verfolgen ihn. Aber der Verdächtige entflieht und auch Wong Kwok-Chu verschwindet und mit ihm seine Dienstwaffe. In den folgenden Monaten werden mit seiner Polizeipistole diverse Überfälle verübt und mehrere Menschen erschossen. Inzwischen ist der zum Inspektor aufgestiegene Ho Ka-On mit der Untersuchung des Falles betraut, doch hat er in 1 ½ Jahren keinen Anhaltspunkt gefunden. So wendet er sich an den nun seit 5 Jahren aus dem Dienst ausgeschiedenen Chan Kwai-Bun und bittet ihn um Hilfe…
Die Ideen der Handlung sind nicht völlig neu und eigenständig. Sowohl David Lynchs Mystery-Serie Twin Peaks (1990/91) und dessen Lost Highway (USA/FRA 1997) als auch Akira Kurosawas Film Noir Ein streunender Hund / Ein herrenloser Hund (JPN 1949), darin die Suche nach einer Polizeipistole den gesamten Film treibt, kommen einem in den Sinn, und im Finale gibt es eine eindeutige Referenz an Orson Welles’ Die Lady von Shanghai (USA 1947). Im Ganzen ist Mad Detective dennoch originell und kann gut für sich selbst stehen. Das ist ein toll inszenierter und kompetent gespielter Neo Noir aus Hongkong, dem seine übernatürlichen Momente, die auf dem Grat unerklärbarer Phänomene einerseits und Geistesverwirrung andererseits gefasst sind, die Basis für eine bizarre Sicht auf die Welt seiner Rollencharaktere bietet. Statt einer Aneinanderreihung von Action-Sequenzen und mit viel Familien- oder Gangsterehre sowie Rachemotiven aufgeladener, rein funktionaler Beziehungsgeflechte gibt es Charaktere, die ihre Interessen und ihre Geschichte aneinander binden und für die Liebe und Angst und Enttäuschung relevante Größen sind. Kurzum, es gibt richtiges Erzählkino, und das Drehbuch Ka-Fai Wais sowie die Regie in Kooperation mit Johnnie To hält den Spannungsbogen und die Intensität des Erzählens über die ganze Dauer aufrecht. Eine wilde Geschichte, aber mit Klasse – ein eigenwilliger Film!
© Alamode Film
„In Zusammenarbeit mit Wai Ka-Fai gelingt Johnnie To ein ausgesprochen effizienter Film noir“, heißt es im Schweizer Filmarchiv online. Als ehemaliger Inspektor Chan Kwai Bun und abstruser „Detektiv“ läuft Ching Wan Lau mit einer Frisur und einer Mimik wie Charles Bronson als Jack Murphy in J. Lee Thompsons Neo Noir Murphys Gesetz (USA 1986) durch den Film. Seine Chemie mit Andy On ist perfekt, doch sind es die klar heraus gearbeiteten Frauenportraits, die solchen Männertypen zu geschärften Profilen verhelfen. Fernab von Klischees vieler Action- und mancher Neo-Noir-Filme, die sich einer gewissen „Coolness“ verschrieben haben, wirkt der Film beizeiten trotzdem etwas unentschlossen und verwirrend. Allemal ist die Erzählweise, darin Gegenwart und Vergangenheit, im Inneren und in der Außenwelt Erschautes und zudem die Perspektiven der Erzähler nahtlos wechseln, überaus gelungen, denn die Handlung erschließt sich sehr wohl. “Hong Kong genre-jumping auteur Johnnie To's films are invariably pretty and intelligent (though not always clear-headed and restrained), and his specific achievement here is in pushing neo-noir conventions (already a hyphenated set of narrative rules developed from Chinatown through Blade Runner, LA Confidential and beyond) into post-neo-noir territory”, schrieb der Filmkritiker Benjamin Sutton für das L Magazine. Aber vielleicht liegt genau darin, was den von historischer Festlegung und Stilkonventionen befreiten Neo Noir ausmacht – immer noch einen Schritt voran gehen zu können.
Erstklassige DVD-Edition von Alamode Film (2009), die den Film ungekürzt im Originalformat, wahlweise kantonesische oder deutsche Tonspur, optional deutsche Untertitel, zudem samt Kinotrailer und einigen Interviews mit Regisseuren und Darstellern als Extras bringt. Sehr zu empfehlen, aber Vorsicht: auch mit FSK-16-Freigabe vereinzelt explizit gewalttätig.