Rabe, Der

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Eddie Muller


Wenn es Nach wird in Paris


Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
****
Originaltitel
Le corbeau
Kategorie
Film Noir
Land
FRA
Erscheinungsjahr
1943
Darsteller

Pierre Fresnay, Ginette Leclerc, Pierre Larquey, Micheline Francey, Héléna Manson

Regie
Henri-Georges Clouzot
Farbe
s/w
Laufzeit
90 min
Bildformat
Vollbild
 

 

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In einer französischen Kleinstadt ist Dr. Remy Germain (Pierre Fresnay) als praktischer Arzt mitunter auch als Gynäkologe tätig. Da jede Geburt im Kreiskrankenhaus meldepflichtig ist, fällt auf, dass Germain oft die Mutter am Leben zu erhalten weiß, wenn der Säugling stirbt. Er gerät daher in den Verdacht, illegal Abtreibungen vorzunehmen, um sein Gehalt aufzubessern. Zudem unterhält Germain heimliche Beziehungen zur jungen Laura (Micheline Francey), der Frau des Chefarztes Michel Vorzet (Pierre Larquey), einem schon älteren Herrn, der just in Paris einen Kongress besucht. Deren Schwester Marie Corbin (Héléna Manson) ist Nonne und auch Krankenschwester im Hospital und sie beobachtet Lauras Verhalten mit Argwohn. Sie versucht, Doktor Germain auszuspionieren und ihm einen seiner Briefe an Laura zu entwenden, bei dessen Lesen sie ihn durchs Schlüsselloch beobachtet. Aber Germain erwischt Marie, deren rabiate, verbissene Art ihm ein Dorn im Auge ist, und er sieht sich gewarnt. Zugleich drängt Laura, die die Abwesenheit ihres Mannes nutzen will, auf eine Entscheidung Germains, damit sie Doktor Vorzet verlassen und Remy heiraten kann. Aber auch die junge Denise (Ginette Leclerc), die leicht gehbehinderte, hübsche Tochter des Schulvorstehers Saillens (Noël Roquevert), hat ein Auge auf Doktor Germain geworfen und lässt sich als Simulantin von ihm untersuchen. Da erhält jener einen Drohbrief, der ihn einer Affäre mit Laura Vorzet bezichtigt und mit Der Rabe unterzeichnet ist. Auch sonstige Honoratioren im Ort erhalten derlei Briefe, die ihre eigenen Geheimnisse und die Machenschaften Anderer offen legen. Zugleich kehrt Michel Vorzet von seinem Kongress zurück…
 
Henri-Georges Clouzots zweiter Spielfilm als Regisseur (nach Der Mörder wohnt in Nr. 21, FRA 1942) ist eine düstere Abrechnung mit der bigotten, verfilzten Sozietät der französischen Provinz, jenen versteckten Kämpfen um Macht und Einfluss mit dem Ziel der höchsten Anzahl von Privilegien. Schon die Jungen verstehen die Gesetze des niemals ruhenden Kampfes und sind in ihn einbezogen. Doktor Germain ist eine klassische Film-Noir-Figur, ungemein signifikant für die Zeit seiner Entstehung. Seine Rolle zeigt Charakteristika des Film Noirs aus Hollywood, wie sie etwa in Jacques Tourneurs Goldenes Gift (USA 1947) zu finden sind. Unterm Mantel einer falschen Identität erscheint Germain, der von seiner Vergangenheit sukzessive eingeholt wird, zuletzt der einzig Wahrhaftige in einer von Intrigen und Lügen durchsetzten Welt voller Amtsstempel und Beglaubigungen. Stilistisch erweist Clouzot, der in den frühen Dreißigern in Berlin als Regieassistent seine Karriere begann, sich vom deutschen Expressionismus beeinflusst. Meisterhaft sind Bildsprache und Licht- und Schattenspiele, die viel von der Hochphase des als perfektionistisch geltenden Geistesverwandten Alfred Hitchcocks vorwegnehmen. Neben Pierre Fesnay überzeugen auch Andere im Ensemble erstklassiger Darsteller, so Ginette Leclerc als Denise Saillens und natürlich Pierre Larquey als Dr. Michel Vorzet.
 
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© Studiocanal GmbH
 
Die englische DVD von Optimum Releasing / Studiocanal beinhaltet einen exquisite Filmessay von Ginette Vincendeau. Darin gibt sie Aufschlüsse zur Werksgeschichte, insofern der Film Noir Der Rabe 1943 im von den Nationalsozialisten besetzten Frankreich realisiert wurde und zwar mittels der von den Besatzern kontrollierten Produktionsgesellschaft Continental Films. Linke und rechte Kritiker haben damals und zu späteren Zeiten in Der Rabe immer einen ihnen feindlich gesinnten Geist am Werk gesehen. Henri-Georges Clouzot wurde nach Ende der Besatzung und dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit zwei Jahren Berufsverbot belegt. Im Kanon des 1946 von Nino Frank für eine Stilrichtung aus den USA geprägten Begriffs Film Noir wurde dieser innovative Film stets ausgespart. Und obwohl Clouzot ab den Fünfzigern zu einem Regisseur von Weltrang aufstieg, tat man sich mit diesem Frühwerk lange schwer. Es legt Zeugnis davon ab, wie sehr die Zeit der Besatzung durch die Nazis die französische Volksseele verwundete und wie sehr sie sich mühen musste, diese Jahre in den Blick zu kriegen. Ähnlich erfuhr der deutsche Jude und Exilant Peter Lorre mit seiner filmischen Abrechnung mit dem Faschismus im Nachkriegsdeutschland, betitelt Der Verlorene (GER 1951), den Hass der Kulturkritik und des Bildungsbürgertums der jungen Bundesrepublik, die den einzigen deutschen Film Noir nach zehn Tagen aus den Kinos und ihren Schöpfer für den Rest seines Lebens in die Ferne verbannten. So wie dieser ist auch Der Rabe ein Werk, das neu bewertet und vor allem wieder gesehen werden sollte.
 
Exzellente DVD-Edition in der Serie Arthaus Retrospektive von Arthaus / Studiocanal (2012) mit einem gut restaurierten Bild (nicht brillant) und dem original französischen Ton mit  optional deutschen Untertiteln, dazu als Extra die schon erwähnte filmhistorische Einordnung durch Ginette Vincendeau und eine schöne Gallerie der Filmposter. Die deutsche DVD-Ausgabe entspricht derjenigen von Optimum Releasing Ltd. / Studiocanal aus dem Jahr 2006, wo es allerdings nicht ausblendbare, englische Untertitel gab.
 

Film Noir | 1943 | France | Henri-Georges Clouzot | Henri-Georges Clouzot | Nicolas Hayer | Noël Roquevert | Paul Barge | Pierre Fresnay | Pierre Larquey

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