Bewertung
****
Originaltitel
Un printemps à Paris
Kategorie
Neo Noir
Land
FRA
Erscheinungsjahr
2006
Darsteller
Eddy Mitchell, Sagamore Stévenin, Pascale Arbillot, Pierre Santini, Gérard Jugnot
Regie
Jacques Bral
Farbe
Farbe
Laufzeit
92 min
Bildformat
Widescreen
© Sunfilm Entertainment GmbH
Paris, Frankreich: Der alternde Gangster Georges (Eddy Mitchell) hat fünf Jahre im Gefängnis zugebracht und zwar für einen Diebstahl, den er mit seinem Kumpel Pierrot (Sagamore Stévenin) durchgezogen hat und der zumindest für ihn schief gelaufen ist. Dennoch hat er den Anderen nicht verpfiffen und als er wieder auf freiem Fuß ist, meldet sich Pierrot sogleich bei ihm und stellt ihm eine Rolle Geldscheine auf den Küchentisch. Von einem neuen Diebstahl, zu dem Pierrot einen Plan ausgeheckt hat, will Georges, der sich jetzt lieber mit der Blumenhändlerin Angélique (Florence Darel), die Zeit vertreibt, nichts wissen. Doch kann er zuletzt nicht wider die eigene Natur und hört sich Pierrots Vorschlag zumindest mal an. So treffen die beiden in einem Restaurant den Versicherungsagenten Denis (Maxime Leroux). Der weiß vom Schmuck einer Mandantin, einem Collier mit hochkarätigen Diamanten, das ebenso hoch versichert ist und das zu stehlen nicht schwer sein soll. Es gehört der attraktiven Louise (Pascale Arbillot), die in einem vornehmen Palais haust und deren (alter) Mann dort seit unbestimmter Zeit im Koma liegt. Die beiden Gangster werden sich mit Denis, der in solchen Dingen allerdings ungeübt und nervös ist, handelseinig und Pierrot klingelt am helllichten Tag in der Rolle eines Blumenboten am Anwesen von Louise. Die ist von der Lieferung zwar überrascht, lässt den Boten jedoch samt seiner Fracht ins Haus und hat im nächsten Augenblick den Lauf einer Pistole an ihrer Schläfe…
Jean Gabin und Alain Delon machen ihre Sache auch in diesem französischen Neo Noir des Jahres 2006 hervorragend… wenn Sie es denn wären! Tatsächlich sind es Eddy Mitchell (= Gabin) und Sagamore Stévenin (= Delon). Doch die Vorbildfunktion ist sowohl mit Blick aufs Duo Junger-plus-alter-Gauner (nämlich Gabin und Delon in Henri Verneuils Lautlos wie die Nacht, FRA 1963) als auch mit Blick auf die Tradition des französischen Noir-Kinos durch Jean-Pierre Melville ganz unübersehbar. So kolportiert sowohl Mitchells Charakter Georges den Gentleman-Gangster Robert „Bob“ Montagné (Roger Duchesne) in Melvilles Drei Uhr nachts (FRA 1956) als eben auch Stévenin das Schauspiel und die Rolle Alain Delons als Corey in Melvilles Vier im roten Kreis (FRA/ITA 1970). Auffällig erinnert zudem der Diamanten-Coup an denjenigen von Maurice Faugel (Serge Reggiani) in Der Teufel mit der weißen Weste (FRA/ITA 1962). Eine Hommage ans Kino des Gestern, das ist Tödliche Diamanten von Jacques Bral (Polar – ein Detektiv sieht schwarz, FRA 1984), dessen deutscher Titel in Abwandlung des treffenden Un printemps à Paris (= Ein Frühling in Paris) falsche Erwartungen weckt. „Harter, gnadenlos konsequent erzählter Neo-Noir-Thriller“, tönt das Zitat vom Filmfest München auf der Rückseite der deutschen DVD, was zu Teilen in die falsche Kerbe haut. Ist es auch ein Neo Noir, so stellt sich unter den Adjektiven zum Titel ein heutiger Filmfreund wohl eher eine pausenlose Abfolge von Actionszenen vor. Tödliche Diamanten ist ruhiges, sich langsam entwickelndes Erzählkino, das seinen Fokus auf die Charaktere und deren zunehmende Verstrickung in eine Reihe abstruser Konsequenzen aus ihrem Raubzug legt. Es ist überhaupt kein für die heutige Zeit typischer Film und will das nicht sein.
Demgegenüber liegt unter der Oberfläche des Gangsterdramas mit teils ironisch-leichten Tönen ein bitterböser Subtext. Die Art und Weise, wie die Jungen in der Liebe und in Sachen Macht und Geld die Alten beerben (= eliminieren), bildet eine Metapher aufs innere Getriebe gesellschaftlichen Fortschreitens in einer Zeit, die von Idealen wie sozialer Verantwortung oder aufrichtigen Erwerbslebens keine Spur zurückbehielt. Die Polizei, die während des Films stets eine Rolle (am Rand) spielt, in ihrer skrupellos rechtsfernen Art der in Melville-Filmen der 60er und 70er eng verwandt, steht am Ende als eine Bande von „Idioten“ dar, die den Verbrechern, da solche über Macht und Prestige verfügen, bei ihren Taten den Steigbügel hält. Die eigene Idiotie bleibt ihr verborgen, da sie sich ganz am vermeintlichen Fahndungserfolg berauscht. Insofern sind das Finale und das Ende des Films nicht frei von bitter zynischen Untertönen, die darauf schließen lassen, dass Jacques Bral hier auch René Clements Wie Raubkatzen (FRA 1964) im Sinn hatte. Als Femme fatale ist Pascale Arbillot, die in Pierrot weniger ihren Meister als ihren Spielball findet, von ausgesuchter Eleganz und frivoler Natur in Einem. Hervorragendes Spiel mit dem und für den Zuschauer, eine subtile Farce in Sachen Sozialdarwinismus durch die fast archaisch vonstattengehende Ablösung der Generationen und damit knietief im Cinema Noir. Wären da nicht einige offensichtliche Ungereimtheiten im Drehbuch, wäre Tödliche Diamanten fast ein Meisterstück. So ist es ein Neo Noir, den man sich mit der richtigen Erwartung ganz in Ruhe zu Gemüte führen sollte. Sehr französisch und sehenswert!
Exzellente DVD von Sunfilm (2007) oder der Süddeutschen Zeitung (ohne Extras als Nr. 8 der schön editierten Serié Noire), d.h. bildtechnisch topp, ungekürzt im Originalformat, deutscher oder französischer Ton, optional deutsche Untertitel, ein Making Of, geschnittene Szenen und der Kinotrailer als Extras.