Neo Noir
| International
| 1999
| Andreas Kleinert
| Hilmar Thate
| Mišel Matičević
| Henriette Heinze
Bewertung
****
Originaltitel
Wege in die Nacht
Kategorie
Neo Noir
Land
GER
Erscheinungsjahr
1999
Darsteller
Hilmar Thate, Cornelia Schmaus, Henriette Heinze, Dirk Borchardt, Ingeborg Westphal
Regie
Andreas Kleinert
Farbe
s/w
Laufzeit
95 min
Bildformat
Widescreen
© Filmgalerie 451 GmbH & Co. KG
Berlin: Walter (Hilmar Thate) ist Ende 50 und arbeitslos. Allein am Küchentisch durchforstet er die Stellenanzeigen einer Tageszeitung, ohne sich jedoch zu bewerben. In der DRR war er Direktor einer Industrieanlage, deren Ruine jetzt außerhalb der Stadt verfällt. Seine Frau Sylvia (Cornelia Schmaus) hat in einem Restaurant eine Stellung als Kellnerin angenommen und sorgt für ihr Auskommen. Doch Walter kann sich mit der Situation nicht abfinden. Mal reagiert er auf seine Umwelt verstockt und deprimiert, mal impulsiv aufbrausend. Die zarte Sylvia leidet darunter. Walter jedoch findet nicht zur Sprache, wie er ihr gesteht. Stattdessen führt er ein Doppelleben, das er vor seiner Frau geheim hält. Nachts patrouilliert er mit den Jugendlichen René (Dirk Borchardt) und Gina (Henriette Heinze) durch die Berliner U- und S-Bahnen. Wo immer Ausländer angepöbelt oder Passanten belästigt werden, schreiten René und Gina wortlos zur Tat und schlagen erbarmungslos zu. Eines Nachts befiehlt Walter einem der lädierten Schläger, die er so hasst, aus der fahrenden U-Bahn zu springen. Zur Überraschung aller tut er es…
Eine in Schwarzweiß gefilmte Hommage an die deutschen Stummfilme der Zwanziger, ein Anschluss an die expressionistische Kinotradition von Fritz Lang und Joe May, so wirken die kontrastreichen Bilder von Wege in die Nacht. Dennoch stellt sich keine Retro-Gemütlichkeit ein. Die Geschichte von Walter und Sylvia ist zeitlos und nicht von Gestern. Als komplexes Drama überzeugt Wege in die Nacht weit mehr als die meisten von schicksalhaftem Ernst geprägten deutschen Filme, die sich zum Vergleich anböten. Kein Pathos, keine Überdramatik, keine Schreiereien – der Kamerablick ist ruhig und präzise, das Spiel der Akteure ein adäquates Unterstatement. Walter ist ein Mensch, der sich selbst nicht erreicht und keinen Zugang zu Anderen findet. Früher war das nie ein Problem. Seine Stellung und sein Status schienen zementiert. Vom Rhythmus der Musik Ginas angetrieben, von einer diffusen Zuneigung zu mehreren Frauen bewegt und aus Gewissensnot und Ratlosigkeit zu einer unklaren Utopie gelenkt, entsteht aus der eigenen Ohnmacht die Lust an Gewalt. In der Nacht erscheint alles einfach und klar. Walter, Gina und René marschieren wie auf einem Rachefeldzug über die U-Bahnhöfe. In Gesellschaft Sylvias und im Kontakt mit alten Bekannten weiß Walter nichts zu sagen. Dass sie im Unrecht seien, ihn alles falsch dünkt – davon ist er überzeugt. Weiter kommt er nicht.
„Ein film noir zur jüngsten deutschen Geschichte und einer der wichtigsten, spannendsten Filme des jungen deutschen Films“, urteilte die Süddeutsche Zeitung seinerzeit. Tatsächlich wird der Film noch in der Schlussphase zu einem Neo Noir, der sich vor der internationalen Konkurrenz nicht zu verstecken braucht. Darstellerin Henriette Heinze erhielt den deutschen Filmpreis, Kameramann Jürgen Jürges das Filmband in Gold. Die Würdigungen erscheinen mit Blick auf Wege in die Nacht berechtigt. Trotzdem ist der Film nur beinahe ein Meisterstück. Zu wenig stimmig erscheint die Chemie der Eheleute Sylvia und Walter im Detail, obwohl die Schauspieler ihre Charaktere glaubwürdig porträtieren. Gibt ihnen das Drehbuch in teils grandiosen Szenen, etwa auf einer Feier im Kreis ehemaliger Kollegen und Bekannter, auch viel Raum, ihre Beziehung zu entfalten, leuchtet das Ausmaß der Fremdheit voreinander nicht recht ein. Eine exquisite Regie, erstklassige Schauplätze und bis in Nebenrollen überzeugende Akteure machen Wege in die Nacht dennoch zu einem Ausnahmefilm deutschen Filmschaffens, von dem man sich wünscht, dass er Schule machte.
Ebenso opulente wie hervorragende 2DVD-Edition der Filmgalerie 451: die ungekürzte Fassung im Originalformat, Untertitel in Englisch, Französisch und Spanisch, sowie zwei weitere Filme von und ein 20minütiges Interview mit Regisseur Andreas Kleinert auf der zweiten DVD. Superb!