Wenn Lola nicht gesungen hätte

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Eddie Muller


Wenn es Nach wird in Paris


Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
***
Originaltitel
Leur dernière nuit
Kategorie
Film Noir
Land
FRA
Erscheinungsjahr
1953
Darsteller

Jean Gabin, Madeleine Robinson, Michel Barbey, Gaby Basset, Paul Bonifas

Regie
Georges Lacombe
Farbe
s/w
Laufzeit
95 min
Bildformat
Vollbild

 


 

 

Per Schnellzug reist die Englischlehrerin Madeleine Marsan (Madeleine Robinson) von Limoges zum ersten Mal in ihrem Leben in die Metropole Paris. Im Abteil gibt ihr ein Priester erste Instruktionen für das Leben vor Ort und empfiehlt der jungen Frau eine gut geführte Pension de famille namens Au duc d‘Aumale in Montmartre, in der sie sich einmieten könne. Als sie bei der dortigen Inhaberin und Leiterin Mademoiselle Mercier (Suzanne Dantès) vorstellig wird, setzen die anderen Dauergäste des Etablissments sich soeben zu Tisch und nehmen von dem Ankömmling bereits Notiz. Der pensionierte Gerichtspräsident Monsieur Villard (Georges Vitray) hat beim Pferderennen einmal mehr verloren und verspottet die Wahrsagerin Madame de Lydia (Jacqueline Marbaux), die ihm seine Chance auf einen Gewinn nicht voraussagen könne. Die Studentin Nicole (Françoise Soulié) fürchtet sich vor ihrem Examen, und erst in letzter Minute kommt auch Pierre Fernand Ruffin (Jean Gabin) hinzu, ein Angestellter in der Bibliothek. Madame Mercier zeigt Mademoiselle Marsan ihr Zimmer und fragt, ob sie sich auch zu Tisch begeben wolle, aber die Frau gibt sich reserviert und erklärt, sie habe keinen Hunger. Kaum hat ihre Wirtin das Zimmer verlassen, setzt sie sich aufs Bett und vergräbt, von Trauer überwältigt, ihren Kopf in den Händen…  Indessen klagt im Speisezimmer Ruffin bei der Küchenhilfe Marceline (Yvonne Constant), welche die Speisen herumreicht, über deren penetrantes Parfüm, zumal er es ihr schon wiederholt gesagt habe…

 

In diesem französischen Filmklassiker sind es zwei Aspekte, die ich unmittelbar als gelungen und in solcher Art eines Filmschaffens in Paris, Frankreich, als (typisch) exzellent erlebte: erstens Mademoiselle Merciers in Montmartre gelegene Pension Au duc d’Aumale und das Sammelsurium illustrer Dauergäste, wenn jene sich dort als eine aus Notwendigkeit und dank der kurvenreichen Wegen des Zufalls zusammengewürfelte Hausgemeinschaft zu Tisch begeben. Und zweitens… Jean Gabin. Wenn er mit seinen damals 48 oder 49 Jahren neben der 35-jährigen Madeleine Robinson einhegeht, wirken die beiden wie Vater und Tochter, nicht wie Liebende. Gabin war zu dem Zeitpunkt seiner Filmkarriere bereits in einer rapide voranschreitenden Seniorität angelangt, die nicht allein seinem Äußeren, demzufolge er nach heutigen Maßstäben eher älter wirkt, sondern auch seinem Habitus zu verdanken ist. Er gibt sich in jeder Geste und mit jeder Bewegung bereits als einer, der im Leben als Pariser Bürger reichlich Erfahrung und damit einen Status erwarb, so dass er letzteren mit gehobenem Selbstbewusstsein auch markieren darf. Sein Pierre Fernand Ruffin ist an der Oberfläche ein Pariser Bourgeois und zwar durch und durch, mit jeder Geste und mit jedem Augenaufschlag in Richtung der hübschen Lehrerin aus der Provinz, die er scheinbar nicht mal bemerkt und die sich bald in Netzen seines abgebrühten Charmes verfängt. Unterhalb dieser Oberfläche ist der soeben beförderte Bibliothekar jedoch ein Gangster, der mittels kühl und akurat durchgeführter Raubüberfälle ein Vermögen zusammenbringen möchte, so dass er sich außerhalb der Metropole ein Stück Land samt Gutshaus leisten kann. Folglich wohnt in Ruffin zugleich ein Unbürgerlicher, der von einem anderen (allerdings ebenso bürgerlichen) Dasein als demjenigen zwischen hohen Bücherregalen voller Weltgeschichte träumt. Sein Doppelleben leitet uns auf die dunklen, von Regen gepeitschten Gassen des Film Noirs. Und die ersten 20 Minuten des Films,welche das Drama behutsam einleiten, scheinen uns darin auch bestätigen zu wollen. Dann wird aus behutsam leider behäbig. Denn Georges Lacombes (Sie waren sechs, FRA 1941) Kunst der Inszenierung strahlt ungefähr die Art Senorität wie Jean Gabins Bibliothekar aus, weshalb sein Film in der zweiten Hälfte bei weitem zu langatmig und teils auch unglaubwürdig gerät.

 

 

Einzig und allein Jean Gabins Leistung im Jahr vor seiner Rückkehr als Filmstar von Rang mit Wenn es Nacht wird in Paris (FRA/ITA 1954) ist sehenswert und nur seines Schauspiels wegen ein Genuss. Mit Madeleine Robinson, die ich in Yves Allégrets Ein hübscher kleiner Strand (FRA 1949) hervorragend fand, hatte ich meine Schwierigkeiten. Ist es die Rolle, welche sie ach so fade und eben tatsächlich wie eine entwurzelte Provinzlerin wirken lässt? Oder ist es sie, die aus solcher Rolle nicht mehr herauszuholen weiß und oft wie bestellt und nicht abgeholt wirkt? Nach Martin Roumagnac (FRA 1946) und Die Nacht ist mein Reich (FRA 1951) war Wenn Lola nicht gesungen hätte – ein schrecklicher Titel für seinen Kinostart in der Bundesrepublik Deutschland – die dritte und finale Kooperation von Georges Lacombe und Jean Gabin. Es wurde auch ihre schwächste, obgleich ich zugeben muss, dass die letzten Minuten und die Schlusssequenz den Connaisseur in bester französcher Film-Noir-Tradition nochmals entschädigen. Fazit: Ganz sicher kein Ärgernis, aber Spannung sucht man ebenso wie eine knackige und spritzige Dramaturgie oder Inszenierung in diesem Film Lacombes vergebens.

 

Unter dem Originaltitel Leur dernière nuit gibt es eine französische DVD-Edition (2004) von René Chateau Video, die bild- und tontechnisch einwandfrei ist, dazu den Film auch im Originalformat und ungekürzt beinhaltet. Leider gibt es zum französischen Originalton keine Untertitel in anderen Sprachen, wie es für den Großteil der Filmklassik in und aus Frankreich (auf BD und DVD) seit eh und je typisch ist.

 


 

Film Noir | 1953 | France | Georges Lacombe | Jean Gabin | Paul Barge | Robert Dalban | Madeleine Robinson

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