John Beal, Trudy Marshall, Jimmy Lloyd, Helen Mowery, Wilton Graff
© Columbia Pictures Corporation
Warset, Arizona: Ein Streifenpolizist (Stanley Blystone) patrouilliert in der Dunkelheit des Abends auf dem Gehsteig. Kaum ist er vorüber kommt ein unrasierter und ungepflegter Mann in schmutziger Kleidung (John Beal) aus einem Hofeingang, sieht sich misstrauisch um, zündet sich eine Zigarette an und geht rasch in die entgegengesetzte Richtung. Vor einer Filiale des U.S. Post Office verlangsamt er den Schritt, bleibt schließlich stehen und schnippt die Zigarette in den Rinnstein. Erneut blickt er sich um, dann öffnet er rasch die Tür und geht in den erleuchteten, menschenleeren Vorraum mit seinen Postfächern. Hier entnimmt er aus einem Ständer ein Formular zur Adressänderung und schreibt in Druckbuchsaben folgendes in die Leerzeilen: “You’ll find the body of Milton Higby on the R.R. tracks five miles east of town.“ Er liest die Botschaft nochmals durch, steckt das Formular durch den Schlitz in den mit Local beschrifteten Briefkasten und verlässt die Filiale. Plötzlich sieht er zu seiner Linken wieder den Polizeibeamten auf Streife und der wird nun auch auf ihn aufmerksam. In der nächsten Sekunde überquert der Drifter die Straße, wird von einem Auto erfasst und liegt, als nun der Polizist herbeirennt, bewusstlos auf dem Asphalt. Der Fahrer, Henry Morton, ist geschockt; der Polizist stellt fest, dass der Mann noch am Leben sei, also ruft er einen Krankenwagen. Im Mercy Hospital ist Schwester Sibley (Victoria Horne) überrascht, dass das Unfallopfer mit lediglich einer leichten Gehirnerschütterung davonkam…
“You just never know what interesting things will turn up at Noir City, and Key Witness was 67 minutes of goofball plot craziness”, schrieb Laura Grieve 2016 nach dem Besuch des Filmfestivals Noir City (USA) für Laura’s Miscellaneous Grievings, und damit liegt sie nicht falsch. Allerdings ist “goofball plot craziness” exakt, was ich mir von einem Film Noir nicht wünsche, und die einst von der Columbia Pictures Corp. unter D. Ross Lederman ins Kino gebrachte B-Produktion Key Witness ist ein perfektes Beispiel warum nicht. Die Filmhandlung nach einem Drehbuch von J. Donald Wilson, Edward Bock und Raymond l. Schrock erweist sich als mit der Brechstange herbei konstruiert. Das Niveau des Humors ist extrem flach und oft dämlich, und der Koinzidenzen gibt es dergestalt viele, dass es in der Summe kaum auszuhalten ist. Letzteres gilt vor allem, je weiter der Film im letzten Viertel voranschreitet, bis das Finale und die Schlusssequenz in einer dem Film Noir und seinen Ursprüngen diametral entgegengesetzten Kehrtwende der versammelten Blödigkeit die Krone aufsetzen. So viel spießbürgerliche Selbstgerechtigkeit und Heuchelei sind selbst für einen US-Film der späten 40er Jahre starker Tobak und im Grunde die Antithese zum Film Noir schlechthin. Dabei beginnt Lederman gar nicht schlecht, können die ersten 5 Minuten voll und die nächsten 30 zumindest zu Teilen überzeugen. Ein Obdachloser irrt am Abend durch die Straßen einer Kleinstadt, er wirkt gehetzt und meidet die Polizei. Er notiert den Fundort eines Toten außerhalb der Stadt auf ein Formular der örtlichen Poststelle, wird von einem Auto angefahren und verletzt… War das ein Unfall? War es ein Selbstmordversuch? Schnell sieht sich der Cineast an Mervyn LeRoys Ich bin ein entflohener Kettensträfling (USA 1932) erinnert, darin Weltkriegsveteran James Allen (Paul Muni) ebenfalls aus der Enge einer Lohnarbeit ausbricht und seinen Traum zu verwirklichen sucht. Er scheitert auf ganzer Linie, endet gleichermaßen als obdachloser Wanderarbeiter auf den Landstraßen der USA und schließlich wegen Raubüberfalls mit Todesfolge unschuldig in einem Arbeitslager. Aber der Eindruck täuscht. Key Witness verwandelt sich im letzten Drittel ins Gegenteil von Mervyn LeRoys leidenschaftlichem Fanal wider Klassengesellschaft, Polizeigewalt und deren Gnadenlosigkeit.
© Columbia Pictures Corporation
“When a man’s got no ties, the open road’s his best friend.” Ledermans Darstellung von Obdachlosigkeit und Nomadentum erfolgt durchaus noch feinfühlig, ist doch Milton Higbys Kumpan der Landstraße, Smiley (William Newell), ein Mann, der mit den einfachen Freuden seiner Existenz mehr als nur zufrieden ist. Ihn gelüstet nicht nach bürgerlichem Glamour, nach Vollzeitanstellung oder Apartment auf Pump: viel lieber lebt er von Tag zu Tag. Charles Trowbridge und Douglas Fowley waren gute Darsteller des B-Films jener Jahre, fast in jeder Rolle eine sichere Bank. Demgegenüber können einige der übrigen Schauspieler, etwa Jimmy Lloyd oder Trudy Marshall, zumindest mich nicht wirklich überzeugen; ihr Over-Acting nervt. Vor allem aber ist Milton Higby, ein ach so gewitzter Erfinder von Ramsch für den Haushalt, was der US-Amerikaner gern als Milquetoast bezeichnet – ein Duckmäuser und Angsthase. Als ein solcher wird er nicht nur von Ehefrau Martha (Barabara Read) frank und frei definiert: “You haven’t got the backbone of a jellyfish.“ Nein, auch die Zuschauer müssen diesen kleinbürgerlichen Warmduscher in Küchenschürze und mit Teppichkehrer ertragen, und das ist im Grunde nicht möglich. Fazit: Unterm Strich ein grauenhaft biederer und stinklangweiliger Film, der sich einer Handvoll Stilelemente des Film Noirs bedient und mit den Klassikern des Filmstils einfach nichts gemein hat.
In den USA erschien der obskure Film erstmals via Sony Pictures Home Entertainment als DVD-R (2011) in einer exquisit restaurierten Fassung, ungekürzt und im Originalformat, bild- und tontechnisch exzellent, allerdings ohne Untertitel und ohne jegliche Extras.