Ángel Magaña, Renée Dumas, Roberto Escalada, Ilde Pirovano, Norma Giménez
Buenos Aires, Argentinien: Raúl Valdez (Ángel Magaña) betritt im afrikanisch dekorierten Nachtclub El Congo die Telefonzelle, wirft einige Münzen ein und wählt die Nummer seiner eigenen Wohnung. Er lässt es mehrfach klingeln, doch niemand hebt ab, und er geht bekümmert an seinen Tisch zurück. Dort erwarten ihn bereits drei Freunde, und es ist Nelly (Diana de Córdoba), die das Wort führt und den anderen erläutert, wie sie sich den Verlauf der Nacht vorstelle, wo sie noch mehrere Nachtclubs und eine Reihe exquisiter Getränke vor sich hätten. Als Raúl sich zu ihnen setzt, ermahnt sie ihn, dass er nicht ständig auf seine Uhr gucken solle, und weil er sich darüber beklagt, dass Nelly immerzu unternehmungslustig und er eben Teil der arbeitenden Bevölkerung sei, schlussfolgert sie, dass er schon alt auf die Welt gekommen sei. Wie nebenbei weist sie darauf hin, dass er sie womöglich an einen Anderen verloren habe, und als er das nicht versteht, zeigt sie auf Raúls Schwester Luisa (Renée Dumas), die eben durch den Raum späht und sich dann in Richtung eines anderen Tisches in Bewegung setzt. Raúl Valdez ist plötzlich wie elektrisiert, fast geschockt Luisa hier zu sehen. Sie geht durch die tanzenden Paare eine Treppe empor zu einem distinguierten Herrn (Nicolás Fregues), der sie wohl erwartete. Sie nimmt an seinem Tisch Platz und ein Kellner bedient die beiden. Nelly und ihre Freundin (Rosa Martín) witzeln über jenen Älteren, zu dem sich Luisa womöglich gar hingezogen fühlt, aber Raúl reagiert barsch und ist nicht amüsiert...
“It is a revelation to experience the work of an all-American author, in Spanish, and rendered as well – or perhaps better – than any Hollywood adaptation of his work”, resümiert Eddie Muller, Gründer und Präsident der Film Noir Foundation, San Francisco, zu dieser argentinischen Produktion der Estudios San Miguel. Der Autor, von dem die Rede ist, heißt Cornell Woolrich und ist ohne Zweifel einer der wichtigsten und ebenso zweifellos der abgründigste und härteste unter den Verfassern von Kurzgeschichten und Romane der US-amerikanischen Kriminalliteratur, welche in jener Phase des klassischen Film Noirs von internationalen Filmstudios adaptiert wurden. Robert Siodmaks Zeuge gesucht (USA 1944), Roy Wiliam Neills Vergessene Stunde / Schwarzer Engel (USA 1946) oder Ted Tezlaffs Das unheimliche Fenster (USA 1949) zählen allesamt zum Kanon des Film Noirs aus Hollywood und beruhen auf Erzählungen Woolrichs. Der argentinische Regisseur Carlos Hugo Christensen hatte in Kopperation mit seinem Kameramann Pablo Tabernero knapp zwei Monate zuvor mit Si muero antes de despertar (ARG 1952) selbst eine Cornell-Woolrich-Verfilmung ins Kino gebracht, und ursprünglich hatten drei Verfilmungen von Kurzgeschichten gemeinsam einen einzigen Episodenfilm bilden sollen, besteht Never Open That Door doch aus zwei, jeweils voneinander unabhängigen Segmenten. Das erste ist die Verfilmung der Kurzgeschichte Somebody On The Phone (EA 1950) und das zweite diejenige der Erzählung Hummingbird Comes Home (EA 1950), die Woolrich jeweils unter seinem Pseudonym William Irish publiziert hatte. Mir persönlich hat auch Si muero antes de despertar, eine werkstreue und konsequente Verfilmung von Cornell Woolrichs If I Should Die Before I Wake (EA 1946), überaus zugesagt, aber es ist Never Open That Door, der im Januar 2024 in einer fantastisch restaurierten Fassung auf dem Filmfestival Noir City in San Francisco, Kalifornien, seine Wiederaufführung erlebte, der schlicht ein Meisterwerk genannt werden muss.
"This extraordinary 1952 Argentinian noir … is probably the most bedarkened, beshadowed film I've seen”, kommentierte aktuell auch US-Drehbuchautor und Regielegende Paul Schrader (Blue Collar – Kampf am Fließband, USA 1978) und wer sich über solches Statement eines im Film Noir erfahrenen US-Amerikaners wundert, muss sich Christensens Film nur einmal selbst zu Gemüte führen, schon erschließt sich die Aussage. Raúl Valdez wird von einer krankhaften, fast inzestuösen Eifersucht auf seine Schwester Luisa angetrieben, die in einen maßlosen Kontrollzwang mündet, allerdings hat die Schwester selbst auch eine dunkle Seite… Die blinde und verwitwete Rosa (Ilde Pirovano) hofft seit Jahr und Tag, dass ihr verschollener Sohn Daniel (Roberto Escalada) zu ihr zurückkehren möge. Eines Abends hört sie in den Radionachrichten von einem Raubüberfall und von drei Gangstern auf der Flucht… Wie Christensen und Tabernero mit begrenzten Ressourcen an nur wenigen Drehorten solche Ausgangslagen der Erzählungen Woolrichs und nach je einem Drehbuch Alejandro Casonas zur Bühne eines nachtschwarzen Dramas stlisieren, ist einfach grandios. Die vom Trio dieser Filmschaffenden in Angriff genimmene Adaption der US-Erzählungen ist zutiefst im Film Noir der Zeit verwurzelt, schlicht weil die drei seinerzeit schon genau wussten, was die Qualitäten solcher Stoffe ausmacht und wie man solche mit scharfem Blick auf die Leinwand transferiert. Für mich einer der ganz wenigen Neuentdeckungen der letzten Jahre, die das Prädikat Filmklassiker von A bis Z zugeschrieben verdient.
Von Never Open That Door gibt es nur eine, dafür enorm hochwertige Edition als Blu-ray disc und DVD (2024) in einer Box und zwar von Flicker Alley (USA) mit der via Film Noir Foundation durchs UCLA Film & Television Archive restaurierten Fassung, ungekürzt und im Originalformat, mit dem spanischen Originalton und englischen Untertiteln. Die Extras beinhalten eine Einführung in den Film durch Eddie Muller (Film Noir Foundation), ein Gespräch mit Fernando Martín Peñas, Filmkritiker und -historiker aus Buenos Aires, Argentinien, ein bebildertes Booklet mit Filmfotos und Werbematerialien, einen Audiokommentar von Autor und Filmwissenschaftler Guido Segal sowie eine Filmdokumentation über Cornell Woolrich von Steven C. Smith und US-Filmhistoriker Alan K. Rode.