Ich bin ein entflohener Kettensträfling

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Bewertung
*****
Originaltitel
I Am A Fugitive From A Chain Gang
Kategorie
Pre Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1932
Darsteller

Paul Muni, Glenda Farrell, Helen Vinson, Noel Francis, Preston Foster

Regie
Mervyn LeRoy
Farbe
s/w
Laufzeit
93 min
Bildformat
Vollbild

 


 

 © Warner Bros.

New York: Ein Transportschiff der US-Armee läuft in den Hafen ein und bringt die Sunset Division aus dem im fernen Europa zum Ende gekommenen Ersten Weltkrieg in die Heimat zurück. Die Soldaten unter Deck würfeln um kleine Beträge, als Sergeant James Allen (Paul Muni) das Spiel beendet und Ruhe einfordert, sei demnächst doch mit einer Inspektion zu rechnen. Die Männer in Uniform schwärmen davon, wie sie ihrem Kommiss-Alltag bald entfliehen und als Zivilisten in ihr altes Leben zurückkehren werden. Als sie Sgt. Allen nach seinen Plänen fragen, gibt jener zu verstehen, dass er auf keinen Fall in die Routine seiner Arbeit in der Fabrik zurückkehren werde. Ein Ingenieur im Brückenbau wolle er werden, das habe er sich fest vorgenommen. Nach einer gewaltigen Siegesparade in der Metropole am Hudson River fährt James Allen mit dem Zug in seine Heimatstadt Lynndale. Vor dem Stationsgebäude warten bereits seine Mutter (Louise Carter), sein Vater, Priester Robert Allen (Hale Hamilton), und seine jüngere Schwester Alice (Sally Blane). Sogar der Inhaber und Geschäftsführer der örtlichen Fabrik, Mr. Parker (Reginald Barlow), hat sich heute zu der Familie gesellt, um seinen ehemaligen Mitarbeiter begrüßen zu können, dem er die alte Stelle freihielt. Als James aus dem Waggon steigt, trägt er aber weder seinen Orden noch zeigt er, zum Verdruss seines Vaters, an Mr. Parkers Angebot, so bald wie möglich in die Fabrik zurückkehren zu können, auch nur das geringste Interesse. Er kommt ihnen seltsam verändert vor…

 

"You can't get better food on any chain gang in the state.” – “Yeah, and you can go all over the world and you won't find worse.” Nachdem James Allen nach Hause zurückkehrte, macht er seiner Familie klar, dass der Krieg für ihn die Hölle gewesen sei. Dass er ihn veränderte und dass er so wenig wieder Soldat sein wie den sinnlosen und öden Job in der Fabrik Mr. Parkers zurückhaben wolle. Zu dem Zeitpunkt ahnt James Allen nicht, dass die wahre Hölle noch vor ihm liegt und dass sie nirgendwo sonst als in seiner Heimat auf ihn wartet, in den Vereinigten Staaten von Amerika. Von einem der auszog sein Glück zu machen und der allerorten in den USA auf Verhältnisse trifft, in denen Geringschätzung, Pragmatismus und die Macht des Geldes vorherrschen, gegen die all sein Bestreben und Bemühen chancenlos bleiben, davon handelt Mervyn LeRoys Film. So endet James Allen nach Jahr und Tag in einem Obdachlosenheim in Atlanta, Georgia, wo er den Ganoven Pete (Preston Foster) trifft, der ihn unter Vorspiegelung einer Einladung zum Abendessen zum Komplizen eines Überfalls auf ein Imbisslokal macht, bei dem sie von der Polizei überrascht werden. Der mit einer Pistole bewaffnete Pete endet tot vor dem Tresen. James Allen wird festgenommen und zu 10 Jahren Zwangsarbeit in einer Kolonne von Kettensträflingen verurteilt. Es ist die Darstellung der inhumanen Lebensbedingungen in einem Arbeitslager im US-amerikanischen Süden unter der Herrschaft gnadenloser und teils sadistischer Aufseher, die Mervyn LeRoys beinhartes Drama Ich bin ein geflohener Kettensträfling bis heute zu einem eindringlichen Kinoerlebnis werden lässt. Der Film war die von Warner Bros. (The Vitaphone Corporation) mit Courage in Angriff genommene Adaption der just erschienenen Autobiographie von Robert Elliott Burns mit dem Titel I Am a Fugitive From a Georgia Chain Gang! (EA 1932), die die US-amerikanische Öffentlichkeit damals mächtig aufrüttelte.

 

 © Warner Bros.

“There's just two ways to get out of here. Work out, and die out.“ Die Produktion fällt in die Hochphase des US-amerikanischen Gangsterfilms der Pre-Code-Ära, als sich Autoren, Regisseure und ihre Studios noch unbeleckt von Staatsräson und Zensur durch den Production Code (ab 1934) enorme Freiheiten rausnehmen konnten. Auch Mervyn LeRoys Der kleine Cäsar (USA 1931) Robert Mamouilans Pulverfass New York / Straßen der Weltstadt (USA 1931), William Wellmanns The Public Enemy (USA 1931) und Howard Hawks‘ Scarface (USA 1932) hatten sozialkritische Töne anklingen lassen, sobald sich ihre Protagonisten aus dem Klammergriff ihrer Armut und der Benachteiligung im sozialdarwinistischen Großstadtdschungel nach oben durchschlugen. Aber kein Film war in der Darstellung der Verhältnisse im “Land Of The Free, Home Of The Brave“ annähernd so nihilistisch und explizit wie Ich bin ein entflohener Kettensträfling. Es sind nicht die Kriminellen als Grenzgänger zwischen den Welten, die Mervyn LeRoys Meisterstück der Kinogeschichte in den Kanon der Vorläufer des Film Noirs rücken. Es ist das Ausmaß der Verzweiflung seines Protagonisten und letztendlich die Aussichtslosigkeit, jemals wieder einen Weg in die Gesellschaft zurückzufinden, daraus James Allen (aka Robert E. Burns), der Veteran des Ersten Weltkrieges, ohne das mindeste Eigenverschulden verbannt wurde. Trostlos bis zum bitteren Ende und relevant bis auf den heutigen Tag, nicht mehr und nicht weniger zeichnet diesen Filmklassiker aus.

 

Gemessen am Stellenwert des einflussreichen Films, der im Jahr 1933 auch in Österreich und in Deutschland zur Aufführung kam, wurde er in den letzten 20 Jahren einer nächsten Generation von Cineasten kaum nahegebracht. Eine US-amerikanische DVD-Ausgabe (2005, Regionalcode 1) von Warner Home Video Inc. bringt das Werk ungekürzt im Originalformat in einer bild- und tontechnisch gut restaurierten Fassung, das Ganze mit Originalton sowie englischen, französischen und spanischen Untertiteln, dazu den Kurzfilm 20,000 Cheers for The Chain Gang (1933), einen Audiokommentar von Filmhistoriker Richard B. Jewell und den US-Kinotrailer als Extras. Die bis dato einzige Blu-ray disc (2015) via New Line Films unterm Titel Soy un fugitivo kommt aus Spanien und verzeichnet auf dem Cover eine Laufzeit von lediglich 88 Minuten und mit 16:9 (Widescreen) das falsche Bildformat, dazu Tonspuren auf Spanisch und Englisch, optional spanische Untertitel. 

 

Pre Noir | 1932 | USA | Mervyn LeRoy | Allen Jenkins | Dennis O'Keefe | Jack La Rue | Paul Muni | Preston Foster | Glenda Farrell

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