Case For The Defense Attorney, A

Bratislava, Tschechoslowakei, im Jahr 1958: Hier lebte Kolár (Štefan Kvietik) damals und vertrat als Strafverteidiger viele Angeklagte vor Gericht, indessen er auf einen Fall wartete, der ihm Gelegenheit böte, sich eine Reputation zu erwerben. Er hatte nicht ahnen können, wie schnell jener käme, als ihm der 17-jährige Karol Macejka (Ján Izák) über den Weg lief… An einer Landstraße außerhalb der Stadt steht ein Polizeifahrzeug. Schaulustige sehen in die offene Parklandschaft vor einem Bauernhof hinunter, wo neben einem Baum die Leiche der 14-jährigen Málková liegt. Der Polizeileutnant Lojzko Urbančík (Július Pántik) ist zur Stelle, ebenso Bezirksstaatsanwalt Dežo Felcán (Karol Machata). Ein Gerichtsmediziner teilt ihnen mit, dass das Mädchen vergewaltigt und erdrosselt wurde. Urbančík winkt einen Polizeibeamten mit Spürhund zu sich, und das Tier nimmt die Witterung auf. Der Gerichtsmediziner erklärt, dass er am Nachmittag die Autopsie durchführe, und Urbančíks Assistent Turčan (Eugen Balogh) weiß, dass Málková wohl einen der fünf Jungs aus der Familie des verwitweten Schaustellers Karel Macejka (Jozef Čierny) getroffen habe. Nachdem Lojzko Urbančík dem Sanitätspersonal die Anordnung gab, Málkovás Leiche vor Ort zu lassen, schickt er Turčan und zwei weitere Männer zum Jahrmarkt, um sich des Jüngsten namens Karol zu bemächtigen… Vor Ort hört Baltazár Macejka (Jozef Provaznik) in der Kabine seines Karussells auf einem Tonband Jump, Jive an‘ Wail von Luis Prima…

“More important than the investigative level in this psychological film is the reflection on the changing conditions in the Slovak judiciary and how the individual figures behave in liminal situations”, schreibt Veronika Zýková im Programm für das Noir Film Festival 2023 in Český Šternberk, Tschechien, und trennt damit den Kriminalfilm herkömmlicher Machart explizit vom Film Noir, der Martin Hollýs Prípad pre obhájcu tatsächlich ist. Als sich dem Strafverteidiger Kolár, der in der Regel die Entscheidungen des Bezirksstaatsanwalts Dežo Felcán und der Richterin Magduska Formánková (Alena Vránová) nur hinnehmen kann, eine Möglichkeit bietet, den Fall des wegen Vergewaltigung und Mordes zu 6 Jahren Freiheitsentzugs verurteilten Karol Macejka neu aufzurollen, ergreift er sie. Aufgrund einiger Indizien glaubt Kolár, einem Justizirrtum auf die Spur gekommen zu sein. Als er obendrein erfährt, dass der vierschrötige Lojzko Urbančík das Geständnis Karols nur durch Anwendung von Gewalt erhielt, ist er entschlossen einen Skandal anzuzetteln. Dass er dabei neben der Karriere des Familienvaters Urbančík auch diejenigen seiner Kollegen und Freunde Dežo und Magduska, ihrerseits verheiratet, aufs Spiel setzt, ist dem wahrheitsliebenden Kolár letztendlich egal. Und der Widerstand, welcher ihm durch die anderen vier Söhne Karel Macejkas entgegen gebracht wird, stachelt seinen Ehrgeiz zusätzlich an… Martin Hollýs fein inszeniertes und von seinen stark besetzten Rollencharakteren geprägtes Drama basiert auf einem Originalskript Tibor Vichtas, der im Vorjahr mit dem Drehbuch zu Peter Solans Meisterstück Der Boxer und der Tod (CSK 1963) den Durchbruch errungen hatte, ebenfalls mit Štefan Kvietik in einer Hauptrolle. Demgegenüber erinnert es in vieler Hinsicht an Nicholas Rays Film Noir Vor verschlossenen Türen (USA 1949) mit John Derek als jugendlichem Straftäter Nick Romano und Humphrey Bogart als dessen Verteidiger Andrew Morton in New York.

Die entscheidende Qualität des Werks liegt darin, dass Autor und Regisseur nicht lockerlassen und uns das beste denkbare Finale servieren. Dem sind andere, höchst gelungene Aspekte von Martin Hollýs subtiler Inszenierung beigeordnet – Karol Krskas exzellente Kameraarbeit, Jozef Malovecs teils bizarre musikalische Innovationen, die zwischen elektronisch erzeugten Geräuschen und Jazz angesiedelt sind, sowie eine punktgenaue Dramaturgie mit sichtlich konsequenter Schauspielerführung und feinem, nadelspitzem Humor. Nach meiner Kenntnis lief Prípad pre obhájcu seinerzeit nicht außerhalb der Tschechoslowakei und erhielt seinen englischen Titel erst durch Wiederaufführungen und eine DVD-Edition, die den Film auch nachfolgenden Generationen von Cineasten zugänglich macht. Wer sich Werken in der Tradition des klassischen Film Noirs aus Ost-Europas erschließen möchte, kommt nach meiner Einschätzung an dieser Produktion Martin Hollýs und Tibor Vichtas nicht vorbei. Definitiv zu empfehlen!

Der Film lief im August 2023 auf dem Noir Film Festival in Český Šternberk, Tschechien. Doch obwohl das Werk in einer bild- und tontechnisch exquisit restaurierten Fassung vorliegt, lässt eine Veröffentlichung via BD oder DVD noch auf sich warten.