Maria Montez, Jean-Pierre Aumont, Lilli Palmer, Marcel Dalio, Pierre Bertin
Marseille, Frankreich: Das US-amerikanische Frachtschilff Alabama fährt in den Hafen ein, und es dauert nicht lange, da läuft der kanadische Matrose Eric Martin (Jean-Pierre Aumont) mit seinen Kumpanen (Charles Fawcett, Lawson Mooney) über den Landungssteg und freut sich über den Landgang. Um sechs Uhr in der Frühe müssten sie wieder an Bord sein, ruft ihnen vom Oberdeck jemand hinterher, dann steche die Alabama erneut in See… Noch am Pier fragt Eric, der als einziger der drei Französisch spricht, den kleinen Orangen-Verkäufer Pierrot (Jean-Marie Simon), wie sie am besten ins Zentrum der Stadt kämen. Zu Fuß sei es eine ganze Stunde, sagt er ihnen, aber die Tram könne sie zum alten Hafen bringen und von dort erstrecke sich die La Canabière über Kilometer in die Altstadt. So fahren die drei dorthin und erkundigen sich im ersten Café, wo sie Platz nehmen, nach den schönen Frauen der Stadt, aber der Kellner kann oder will ihnen nicht helfen. Am Abend sind sie angetrunken und ein wenig frustriert, als ein Kundenfänger (Roland Toutain) des Kit-Cat Clubs ihres Weges kommt und in den Matrosen aus Übersee sofort seine Klientel erkennt. Und so landen die jungen Herren in dem Nachtclub und finden sich in Gesellschaft von drei Damen (Thérèse Aspar, Jacqueline Guelis, Catherine Damet) an einem Tisch in der Nähe der Bar. Indessen seine Kumpanen mit ihren Frauen tanzen, bleibt Eric sitzen und erspäht vor sich auf ihrem Barhocker die Sängerin Dolores (Maria Montez), die ihm schöne Augen macht…
“The location sequences are particularly effective, making good use of the Marseille setting to emphasise the hopelessly tragic nature of the protagonist’s romantic infatuation, in classic film noir fashion”, schreiben James Travers und Willem Henri für frenchfilms.org und das ist allemal richtig. Raymond Voinquels Kameraarbeit ist beizeiten großartig, die Schauplätze in den alten, herabgekommenen Vierteln der Hafenstadt mit dem Kit-Kat Club als deren erster Adresse für die Nacht und das Ensemble der Darsteller können ebenfalls überzeugen. Positiv ist auch, dass der Film konträr zu den US-amerikanischen Produiktionen jener Jahre keine Scheu davor hat, Dolores als Prostituierte zu kennzeichnen, die mit dem Matrosen Eric Martin eine leidenschaftliche Nacht verbringt. Auch ist das Drama konsequent in Szene gesetzt und versucht nicht, das Publikum durch milde und falsche Töne zu umgarnen. Erics Neigungen für Dolores steigern sich im Lauf des Films zur Obsession und er behandelt die ihm in Liebe zugeneigte Tanya (Lilli Palmer), auf deren Hilfe er angwiesen ist und die er auch in Anspruch nimmt, zusehends wie eine Sklavin. Der frohgemute Seemann wird zum Opfer seiner Bessessenheit und zeigt Charaktermerkmale, die alles andere als sympathisch sind. Die Konstellation der Figuren, die Stadt als Ort der inneren Isolation und als eine Falle sowie Finale und Schluss erinnern in einem ab der Hälfte der Filmhandlung zunehmenden Maß an Julien Duviviers Pépé le Moko – Im Dunkel von Algier (FRA 1937), dabei ist François Villiers‘ Film die Adaption des Romans Hans le marin (EA 1929) aus der Feder von Edouard Peisson. Der Roman Pépé le Moko von Henri La Barthe erschien erstmals 1931, zwei Jahre nach Peissons Werk. Es mag dem Rückgriff auf diese Vorlage geschuldet sein, dass auch Hafenbar von Marseille stark vom Flair des französischen Poetischen Realismus‘ jener Vorkriegsjahre geprägt ist.
All das macht diesen europäischen Film Noir der ausgehenden 40er Jahre nicht zu einem schlechten, leider auch nicht zu einem guten Werk der Filmklassik. Jean-Pierre Aumont in einer Rolle, die 12 Jahre zuvor Jean Gabin prächtig zu Gesicht stand, schlägt sich leidlich und er überzeugt großteils auch, aber im Finale zeigen er und Maria Montez die Grenzen ihres Könnens. Hier kann auch der Regisseur nicht punkten: die letzte Begegnung der Liebenden und der Kontrahenten des Dramas wirkt in solcher Inszenierung gestelzt. Auch ansonsten schleppt sich die Handlung mitunter, denn obwohl Tanya erst nach 42 Minuten die Bühne des Films betritt, zeigt sie letztendlich mehr charakterliche Facetten als Eric Martin, der einzig auf seine unglückliche Liebe beschränkt bleibt. So erweist sich Hafenbar von Marseille trotz pointierter Leistungen in den Nebenrollen – Marcel Dalio, Lita Recio, Grégoire Aslan und Jean-Marie Simon sind alle erstklassig – als ein unerfülltes Versprechen, welches trotz der Stringenz in der Entwicklung seiner Geschichte eigentümlich blass bleibt. Für den Hauptdarsteller Jean-Pierre Aumont war der Film seinerzeit eine Art Familienprojekt: sein Bruder François Villiers führte (erstmalig) Regie, seine (schon 1951 verstorbene) Ehefrau Maria Montez spielte die weibliche Hauptrolle, Aumont selbst war auch am Drehbuch beteiligt. Fazit: Für den Connaisseur der Filmklassik eine interessante, aber keinesfalls zwingende Ergänzung des Kanons französischen Film Noirs in jener Zeit.
Es gibt eine französische DVD-Ausgabe (2009) via René Chateau Video mit dem Film ungekürzt und im Orginalformat, bild- und tontechnisch sehr gut restauriert, das Ganze mit dem französischen Originalton, leider ohne jegliche Untertitel und ohne Extras. Die dort verzeichnete Angabe der Laufzeit von 95 Minuten ist falsch, der Film dauert lediglich 88 Minuten. Eine 1951 in den USA via United Artists als Wicked City gezeigte englischsprachige Fassung wurde um ganze 12 Minuten gekürzt.