Pietro Germi, Claudia Cardinale, Franco Fabrizi, Cristina Gaioni, Claudio Gora
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Rom, Italien: In einem hübschen Mietshaus in der Innenstadt wird Commandatore Anzaloni (Ildebrando Santafe) Opfer eines Diebstahls. Der maskierte Einbrecher flieht durch das offene Treppenhaus, verfolgt von dem General Pomilia (Antonio Acqua), der mit einem Revolver in die Luft schießt, um keine der Schaulustigen zu verletzen, womit er allerdings viel Aufmerksamkeit erregt. Trotz des Aufruhrs auf dem Platz vor dem Haus kann der Flüchtige schließlich entkommen. Bald ist mit Brigardiere Oreste (Silla Bettini), mit Maresciallo Saro (Saro Urzi) und mit dem leitenden Commissario Ingravallo (Pietro Germi) die Polizei vor Ort und beginnt mit ihrer Untersuchung. Es stellt sich heraus, dass der aufgeregte und etwas bizarre Anzaloni überfallen wurde, doch gibt er die verschwundenen Schmuckstücke, alle aus dem Familienerbe, als wertlos an. Ingravallo wundert sich, dass der Dieb die Schublade mit Anzalonis Habseligkeiten so schnell finden konnte und fragt ihn, ob er verheiratet sei, was der Commandatore verneint. Indessen teilt sich Anzaloni mit seiner Nachbarin Liliana Banducci (Eleonora Rossi Drago) die gleiche Putzkraft, nämlich Assunata Jacovacci (Claudia Cardinale), die ebenfalls vor Ort ist und jetzt von Ingravallo beftragt wird. Letzterer interessiert sich vor allem für ihren Verlobten Diomede Lanciani (Nino Casteölnuovo), der im Wohnzimmer der Banduccis vor kurzem die Stromleitungen erneuerte…
Es klingt nach einer simplen Prämisse, doch der Diebstahl und ein ihm nachfolgender Mordfall im gleichen Haus und in der gleichen Etage werden für den Kommissar Ingravallo und seine Mitarbeiter zu einer Tor de force. So stehen in diesem für seinen großartigen Autor, Regisseur und Schauspieler Pietro Germi (Jagd ohne Gnade / Bis zum bitteren Ende (ITA 1951) typischen Film dessen Charaktere im Mittelpunkt: bis dato unbescholtene und respekatable Bürger des gehobenen Mittelstands, die sich über kurz oder lang als niedere, von Eigennutz und Geldgier geleitete Kreaturen entpuppen. Dabei zeigt sich der von Germi selbst verkörperte Ingravallo als ein für den europäischen Film Noir und die Kriminalliteratur der Zeit fast stereotype Figur, ebenso unnachgiebig wie mitfühlend, ein Mann nach dem Vorbild von Georges Simenons legendärem Pariser Kommissar Jules Maigret. Im Unterschied zu der französischen Ikone ist Ingravallo selbst allerdings ein unbehauster, ansatzweise nicht-bürgerlicher Charakter, der in der eigenen Wohnung wie ein Fremder wirkt und ständig Entschuldigungen murmelnd seiner unsichtbaren Geliebten Paola hinterdrein telefoniert. Verheiratet ist er natürlich mit dem Beruf, ein Mann der einzig raucht anstatt zu essen und zu trinken und der selbstredend Tag und Nacht im Dienst ist. Was ist in Anbetracht so vieler vertraut klingender Zutaten für einen dunklen Thriller im Schwarzweiß jener Ära letztlich der Unterschied, der das Meisterstück ausmacht? Für mich ist es die ungezähmte Vitalität und Lebensgier aller Beteiligten, solches Portrait des in jeder Sequenz vibrierenden urbanen Miteinanders, dieser rasende Vollzug von Ursache und Wirkung, dahinein Ingravallo, mit einem Schlüssel ausgestattet, so etwas wie Ordnung und Sinn zu bringen sucht, indessen dieser manische Antrieb in letzter Konsequenz nicht nur den Aberwitz sondern auch die Tragik der Geschehnisse zum Vorschein bringt.
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“During his final expedition into film noir, Un maldetto imbroglio (The Facts of Murder, 1959), Germi both directed and occupied the role of the film’s protagonist“, schreibt Francesca Amoroso in ihrem Artikel The enigmatic mystery of Pietro Germi für The Spread und lenkt mit Hinweis auf den zentralen Rollencharakter ebenso zu der Annahme, dass Germis Commissario Ingravollo in letzter Konsequenz die Geschehnisse nicht nur enttarnt. So wie sein französischer Amtskollege Maigret und wie so viele der Privatdetektive des Film Noirs, muss Ingravallo in der Schlusssequenz erkennen, dass die von ihm ans Licht gebrachte Wahrheit sich gegen ihn kehrt und auch mit ihm kein Erbarmen kennt. Entgegen all der Poster und Fotos mit ihrem Namen an zweiter Position hat Claudia Cardinale in Unter glatter Haut / Was geschah in der Via Merulana? eine zwar wichtige, mit Blick auf die Laufzeit des Films aber kleine Rolle. Es sind im Gegenzug Franco Fabrizi, Claudio Gora, Saro Urzi und Eleonora Rossi Drago, die mit ihrem Schauspiel dem Film ihren Stempel aufdrücken. Grandiose Schauplätze in der Metropole Rom bei Nacht und bei Tag, die exquisite Fotografie von Kamerafrau (!) Leonida Barboni (Im Namen des Gesetzes, ITA 1949) und die in keiner einzelnen Szene nachlassende Relevanz der Geschehnisse für den Fortgang der Erzählung lassen diesen Film Noir zu einem Muss für den Connaisseur klassischen europäischen Kinos werden. Im Januar 2020 lief der Film auf dem US-amerikanischen Festival NOIR CITY in San Francisco im Doppelprogramm mit Michelangelo Antonionis Chronik einer Liebe (ITA 1950).
Unter dem Originaltitel Un maledetto imbroglio gibt es via Medusa Film Spa. eine italienische DVD-Edition (2004) in deren The Mediaset Collection mit dem Film ungekürzt im Originalformat, bild- und tontechnisch gut restauriert, mit der italienischen Tonspur und optional italienischen Untertiteln ohne Extras. Eine spanische DVD (2010) als Un malditto embrollo beinhaltet zusätzlich eine spanische Tonspur und bringt anstatt der italienischen spanische Untertitel. Eine weitere italienische DVD (2014) der italienischen Warner Bros. in der Reihe I grandi registi beinhaltet als Extras einen Audiokommentar von Maurizio Porro, eine Bildergalerie mit Standfotos und Werbematerial sowie eine Dokumentation zum Film von Cinema Forever.