Olivia Thirlby, John Caroll Lynch, Jennifer Beals, Nichelle Nichols, Rachael Taylor
Morro Bay, Kalifornien: Die Sozialarbeiterin Claire (Olivia Thirlby) kümmert sich in der Regel um den Nachlass einsam verstorbener Menschen in hohem Alter und spürt deren Angehörige auf. Die von Natur aus schüchterne und allein lebende Frau Anfang 30 hat sich dadurch bei der örtlichen Polizei einen guten Ruf erworben, denn ihr detektivischer Spürsinn ist feinfühlig und außergewöhnlich. So beschließt die ihr zugeneigte Staatsanwältin Vivian (Jennifer Beals), sie in einem bis dato ungelösten und mysteriösen Mordfall um Hilfe zu bitten. Eine gewisse Jessica, die in der Gegend auch unter dem Spitznamen “The White Orchid“ bekannt wurde, ist vor einiger Zeit auf grausame Weise ermordet worden. Nachdem sie erschossen worden war, wurden sowohl der Kopf als auch die Hände der Frau mit chirurgischer Präzision entfernt, wie Sheriff Mann (John Carroll Lynch) Claire im Detail erläutert, als diese mit ihren Nachforschungen beginnt. Der Sheriff ist nicht begeistert davon, dass die zarte und zurückhaltende Claire sich einem abscheulichen Kapitalverbrechen widmet, doch lässt er sie und Vivian gewähren. Die private Ermittlerin beschließt, in das Haus einzuziehen, das die mysteriöse Jessica für sich allein mietete. Niemand weiß etwas über die Frau, welche nicht aus der Gegend stammte und offenbar auch keiner Arbeit nachging. Folglich fehlen der Polizei Anhaltspunkte, die Rückschlüsse auf ihre Identität zuließen. Die eigenwillige Claire wird sich bei der Wahrheitssuche auf sich selbst verlassen müssen…
“It feels good to do the wrong things sometimes, hm?“ Der Neo Noir The White Orchid war für die Beteiligten vor und hinter der Kamera nicht unbedingt eine richtige Entscheidung. Nur fühlt er sich mit allem, was daran “wrong“ ist, eben nicht gut an. Im Übrigen hat mir persönlich noch nie ein Film mit Olivia Thirlby, von denen ich nur wenige sah, wirklich gefallen, und der hier ist keine Ausnahme. Ihre Transformation von der schüchternen Provinz-Detektivin zur Femme fatale in San Francisco funktioniert auch deshalb nicht, weil die Hauptdarstellerin sie nicht glaubwürdig verkörpert und bei jedem Schritt zu unbeteiligt wirkt. Der Autor und Regisseur hat sich offensichtlich bei Otto Premingers Laura (USA 1944), bei Alfred Hitchcocks Vertigo - Aus dem Reich der Toten (USA 1958) und bei David Lynchs Mulholland Drive - Straße der Finsternis (FRA/USA 2001) inspirieren lassen. Sein Skript wurzelt in der Tradition des klassischen Film Noirs und wurde von Santana Films und Stephen H. Bogart, dem Sohn Humphrey Bogarts und Lauren Bacalls, mitproduziert. Doch all das hilft nicht viel, denn Andersons Drehbuch verlässt sich allzusehr auf jene aus Erfolgsfilmen der Vergangenheit übernommenen Bausteine. Solche fügen sich jedoch nicht zu etwas Eigenständigem oder gewinnen überhaupt nur Substanz. Mit der schlafwandelnden Thirlby in der Hauptrolle fehlt The White Orchid eins der wichtigsten Elemente eines Neo-Noir-Thrillers, nämlich Spannung.
“The film is a neo-noir film that (…) does suffer from being inconsistent in its tone as well as wanting to be all sorts of film without finding its center“, schreibt Steven Flores für Surrender to the Void und stellt ihm zuletzt das Zeugnis aus, übers Mittelmaß nicht hinauszukommen. Tatsächlich plätschert die Filmhandlung bis zur letzten Szene vor sich hin und wartet dann mit einer Überraschung auf, die den Zuschauer eher seufzen lässt. Wer erleben möchte, wie man solch eine Geschichte konsequent und spannend in Szene setzt, sieht sich Bob Rafelsons Neo Noir Die schwarze Witwe (USA 1987) an, darin Theresa Russell und Debra Winger sich ein faszinierend ausgetüfteltes Katz-und-Maus-Spiel liefern, deren Verteilung der Rollen mehrfach überrascht, ebenso das Ende. Solcher Kunst des Erzählens läuft Andersons The White Orchid bloß hinterher und kann auch mit dem im Titel beinhalteten Hinweis auf jenen spektakulären Mord im Jahr 1946 nicht punkten, der durch Brian de Palmas Black Dahlia (USA/GER/FRA 2006) ebenfalls zu einem Neo Noir des 21. Jahrhunderts wurde. Dank Patrick Meade Jones‘ Kameraarbeit und exquisitit besetzter Nebenrollen – neben Jennifer Beals stechen Nichelle Nichols und Brendan Sexton III hervor - kann dieser Neo Noir, der im August 2018 auf dem Noir Film Festival in Křivoklát, Tschechien, seine europäische Premiere feierte, einigen Unterhaltungswert für sich verbuchen. Aber mehr bleibt nicht zurück und das ist ein mageres Resümee.
Es gibt eine US-amerikanische DVD-Edition (2018) via Dark Sky Films und MPI Media Group mit dem Film ungekürzt im Originalformat, dazu mit dem original englischen Ton und optional mit Untertiteln auf Englisch und sogar auf Chinesisch. Diese Ausgabe ist allerdings in Deutschland nicht erhältlich, demgegenüber der Film auch in einigen internationalen Streaming-Portalen abrufbar ist.