Ben Affleck, Rebecca Hall, Jon Hamm, Jeremy Renner, Blake Lively
© Warner Bros.
Boston, Massachusetts: Es ist fast viertel nach acht am Morgen, als Douglas MacRay (Ben Affleck) seinen Mitstreitern James Coughlin (Jeremy Renner), Albert Magloan (Slaine) und Desmond Elden (Owen Burke) in ihrem Lieferwagen vor dem Eingang der Cambridge Merchants Bank die lezten Anweisungen gibt. Der Geldransporter mit dem Fahrer Arthur Shea und seinem Kollegen Marty McGuire (Chick Bernhard), der heute das Bargeld aus dem Tresor der Bank abholen wird, ist vorgefahren und für McGuire öffnet sich die Tür. Damit stürmen die vier nun maskierten Gangster aus ihrem Lieferwagen in die Bank und zwingen mit der gebotenen Eile das Personal, sich auf den Boden zu legen und ihre Mobiltelefone abzugeben. Doug drängt die Angestellte Claire Keesey (Rebecca Hall) und einen Bankmanager (Victor Garber) sich mit ihm vor den Tresor zu begeben. Um 8:15 Uhr, als das Zeitschloss entsperrt, soll Claire die Kombination eingeben und den Safe öffnen. Nur mit einiger Anstengung gelingt es ihr. Die Diebe vernichten die Videoaufzeichnungen der Überwachungskameras in der Mikrowelle und stehlen das Geld. Als der Manager es dennoch schafft, heimlich den Alarm auszulösen, schlägt Coughlin ihm den Kolben seines Sturmgewehrs mehrfach ins Gesicht. Die vier fliehen mit einem zweiten, am hinteren Ausgang platzierten Lieferwagen und nehmen, falls ihnen die Polizei folgen sollte, Claire Keesey als Geisel. Noch bevor sie ihr die Augen verbinden, sieht sie in Coughlins Nacken eine Tätowierung…
“The problem of course is that (…) the story, characters and their motivations are utterly preposterous”, schreibt Jordan Hiller für Bangitout und bringt das zentrale Dilemma auf den Punkt. Ben Afflecks zweite Regiearbeit platziert den gleichnamigen Schauspieler auch in der Hauptrolle, aber nach seinem großartigen Neo Noir Gone Baby Gone - Kein Kinderspiel (USA 2007) - Produktionskosten 19 Mio US-Dollar - ist The Town - Stadt ohne Gnade - Produktionskosten 37 Mio US-Dollar - von der ersten bis zur letzten Minute Mittelmaß. Hier gibt es nichts, was man in ähnlicher Weise in den letzten 25 Jahren nicht schon gesehen hätte, von Gefährliche Brandung (USA/JPN 1991) über Heat (USA 1995) bis zu Die Regeln der Gewalt (USA 2007). Während Gone Baby Gone - Kein Kinderspiel vom Understatement lebt und sowohl seine schauspielerische Expertise und die Geschichte selbst klar konturiert, wirkt The Town - Stadt ohne Gnade vor allem technisch aufgepumpt. Seine handwerklich gut umgesetzten Action-Sequenzen und andere Geschmacksverstärker weisen darauf hin, dass das mit Ben Affleck und Aaron Stockard gleich besetzte Autorenteam mit Warner Bros. und Legendary Pictures auf eine andere Produktionsweise setzt. Der Film ist eine Verfilmung des Romans Prince of Thieves (EA 2005) - zu Deutsch Endspiel - von Chuck Hogan, der seinerzeit mit dem Hammett Prize der International Association of Crime Writers, benannt nach Dashiell Hammett, geehrt worden war. Doch Afflecks “Prince of Thieves“ namens Doug MacRay entpuppt sich als der Junge von nebenan, der dummerweise in der falschen Nachbarschaft groß wurde und dem das erst auffällt, als er mit Claire Keesey seine Prinzessin findet, weshalb er am liebsten nur noch Prinz und nicht mehr Dieb wäre, was seine bösen Kumpels ihm aber nicht gönnen. Und das… ist aus so ziemlich jeder Perspektive einfach Blödsinn.
“The romance that ensues, a yuppie bank manager falling for the charms of the working-class bank robber, is the movie's single most un-buyable element”, schreibt Dana Stevens für Slate und besser könnte man es kaum zusammenfassen. Um die romantische Annäherung halbwegs glaubhaft zu gestalten, sehen wir Claire nicht mehr in ihrer beruflichen Umgebung, sie kündigt sogar ihren Job und trägt Klamotten, die sie mit Doug auf eine Stufe stellen. Warum sie sich für eine Karriere in der Bank entschied, ist in ihrer Konversation kein Thema - Claire sucht auch keine neue Stelle und erholt sich stattdessen bei Gartenarbeit. Dass Douglas MacRay überhaupt einen Job hat, erfährt der Zuschauer erst spät - zuvor hat er alle Zeit der Welt, ist doch jeder seiner Tage wie ein Sonntag. James Coughlin (Renner ist hier 39 Jahre alt) hat eine Schwester namens Krista (Blake Lively), die deutlich jünger ist (beide Schauspieler sind 16 Jahre auseinander). Sie wiederum hat ein zweijähriges Kind, das nicht von Douglas MacRay (Affleck ist hier 38 Jahre alt) stammt, mit dem sie eine offene Beziehung pflegt, die zuletzt auch eine Rolle spielt… Solche Konstruktion mag auf Papier gelingen, im Film stolpert sie am äußeren Rand der Glaubwürdigkeit vor sich hin, das Ganze wirkt künstlich. Und während US-Kritiker in Anbetracht des Schauspiels in Verzückung gerieten, bin ich davon nicht überwältigt. Alles und jeder ist solide, aber nichts sticht heraus. Der Film ist Neo Noir als Popcorn-Kino. Sein Finale ist völlig "over the topp“ und trotz hektischer Jagdszenen, reichlich Geballer und sogar Explosionen ist beim Abspann alle Energie längst verpufft.
Auf der deutschen DVD-Fassung (2011) von Warner Home Video Germany ist nur die Kinofassung enthalten, auf der BD (2011, auch Warner) zusätzlich der internationale Extended Cut. Zur Lauflänge: In Deutschland läuft die Kinofassung aufgrund unterschiedlicher Beschleunigungen bei der Wiedergabe exakt 118 Minuten und 39 Sekunden, in den USA läuft sie 124 Minuten und 49 Sekunden. Sie wird jedoch fast überall mit 125 Minuten falsch angegeben, auf der deutschen DVD steht 120 Minuten. Der Extended Cut läuft original 150 Minuten, in Deutschland 144 Minuten. Der Extended Cut ist in Deutschland genau 25 Minuten und 28 Sekunden länger und der deutlich bessere Film. Exakte Infos dazu finden sich bei Schnittberichte.com. Bild- und tontechnisch sind alle Fassungen topp, es gibt für die Kinofassung Tonspuren auf Deutsch und Englisch, auch Untertitel, u.a. auf Englisch und Deutsch, der Extended Cut existiert nur auf Englisch mit deutschen Untertiteln. Zusätzlich gibt es in der Ultimate Collector’s Edition (USA) oder auf der BD (2012) der Premium Collection (Deutschland) noch den Alternative Cut (= 147 Min Spielzeit), der erneut 2 Minuten und 52 Sekunden länger ist und ein völlig anderes Ende als die Kinofassung und der Extended Cut bietet, was dem Film besser zu Gesicht steht, aber nur eine von insgesamt 3 Optionen ist, den Film zu sehen und damit an der Grenze zur Beliebigkeit. Alle Editionen enthalten auch einige Extras, u.a. die Dokumentation The Real People of The Town und das Feature Ben Affleck: Director & Actor.