Jeanne Moreau, Gérard Oury, Philippe Nicaud, Claire Maurier, Gérard Buhr
© Verlag für Filmschriften Christian Unucka
Paris, Frankreich: In Mantel und Hut verlässt der Industrielle Jacques Decrey (Gérard Oury) seine Villa und fährt in seinem Buick durch die nächtliche Stadt. Vor einem Mietshaus hält er an, entsteigt dem Auto auf der Beifahrerseite und streift sich Handschuhe über. Rechts im Mauerwerk drückt Decrey auf den einzigen Knopf und ein elektrischer Türöffner entriegelt das Gitter. Bevor ihn ein pfeifend vorübergehender Passant entdecken könnte, tritt er ein. Die Loge des Concièrges (Albert Michel) ist unbesetzt und der Eindringling geht zügig zur gegenüberliegenden Flügeltür einer Erdgeschosswohnung. Statt das Flurlicht einzuschalten, sucht er im Schein seines Feuerzeugs das Schlüsselloch und betritt die Wohnung. Allein das Feuerzeug dient ihm weiterhin zur Orientierung. Er bemerkt, dass aus der Badezimmertür ein Lichtschein und das Geräusch eines Rasierapparats dringen. In diesem Augenblick wird im Hausflur die Stimme des Concièrges hörbar, der wissen möchte, wer sich hier herumtreibe. Er ist verwirrt, als er Monsieur Lacourt (Pierre Mirat) in Begleitung seiner Frau eintreten sieht. Jener gibt zu verstehen, dass sie just in dem Moment erst ankämen. Der Concièrge wundert sich, schließt das Gittertür und geht in seine Wohnung. Indessen tritt Jacques Decrey an die auf dem Teppich des Schlafzimmers liegende Leiche Yves Normands (Philippe Nicaud) heran und prüft mit dem Fuß, ob er wirklich tot sei. Zugleich lässt er das Magazin einer kleinkalibrigen, filigranen Pistole, darin eine Patrone fehlt, wieder einschnappen…
Im Jahr 1946 hatte der damals 18-jährige Autor und Regisseur Édouard Molinaro begonnen Kurzfilme und später Dokumentationen zu drehen, und das tat er für 12 Jahre. Mit dem Rücken zur Wand wurde für den noch nicht einmal 30-jährigen zu seinem Spielfilmdebüt, und solches hat es in sich. Schöpfer der Romanvorlage namens Délivrez-nous du mal (EA 1958) war Frédéric Dard, und er, der seit 1955 auch als Drehbuchautor tätig war, verfasste auch selbst das Skript. In all seiner Tristesse und Bitterkeit, die tief in den pragmatischen, von enttäuschten Hoffnungen und der Mechanik ihres Alltags geprägten Lebensentwürfen der Protagonisten wurzelt, erinnert dieser französische Noir allerdings an die Verfilmung eines Werks von Georges Simenon. Letzterer war für das europäische Nachkriegskino von einiger Bedeutung. Gerade der Film Noir jener Jahre wäre ohne ihn kaum denkbar, zählen doch Werke wie Panik (FRA 1946), Hafen der Versuchung (UK 1947) oder Der Schnee war schmutzig (FRA 1954) zu den besten. So verfilmte Édouard Molinaro für seinen vierten und letzten Film Noir Die Nacht hat dunkle Schatten (FRA 1961) Georges Simenons Roman Bellas Tod (EA 1952, auf Deutsch 1968) und servierte, bevor er sich fast nur noch der Komödie widmete, seinen Zuschauern einen kompromisslos dunklen Schlusspunkt. Paradoxerweise ließe sich das bereits von Mit dem Rücken zur Wand behaupten, der in Molinaros Werdegang im französischen Film ja einen Wendepunkt markiert und in keiner Szene wie das Werk eines Debütanten anmutet. Demgegenüber beweist eine ins Extrem getriebene Nüchternheit und Kühle vieler Sequenzen, die ohne Musik und Dialog auskommen, die hohe Schule des Dokumentarfilmers, der die Ereignisse in ihrer scheinbar minimalen Bedeutung für sich selbst sprechen lässt. Wie auch die nachfolgenden Film Noirs Molinaros bebildert Mit dem Rücken zur Wand die zutiefst beklemmende Monotonie eines Lebens in der gutbürgerlichen Gesellschaft, das tief in seinem Inneren zwangsläufig eine Sehnsucht nach Zerstörung entfacht.
"Le Dos au Mur is a superb piece of domestic noir that should be far more widely known than it is", schreibt John Grant für Noirish und dieser Feststellung kann ich nur von Herzen zustimmen. Jeanne Moreau und mit ihr alle übrigen Darstellerinnen und Darsteller erweisen sich als ein exquisites Ensemble. Vor allem aber liefert die Geschichte selbst, mag sie auch in einem geruhsamen Tempo voranschreiten, an diversen Eckpunkten so einige Überraschungen. Besonders gelungen ist jene Wendung im Finale, die in vergleichbaren Filmen oft forciert oder gar unglaubwürdig erscheint, hier jedoch punktgenau den letzten und endgültigen Schritt des Dramas einleitet. Für seinen Film Noir Der Mörder kam um Mitternacht (FRA 1959) verpflichtete Édouard Molinaro seinen vorherigen Hauptdarsteller Gérard Oury als Drehbuchautor, bevor letzterer ab 1960 gänzlich hinter die Kamera wechselte und für die kommenden drei Jahrzehnte auch Regie führte. Ähnlich wie Molinaro führte es ihn dabei hauptsächlich ins Fach der Komödie.
Es gibt eine jeweils bild- und tontechnisch exquisit restaurierte Fassung des Films als BD (2014) und als DVD (2010) via Gaumont Vidéo, mit dem Film ungekürzt im Originalformat und mit der original französischen Tonspur inklusive französischer Untertitel. Weitere Tonspuren oder Untertitel gibt es allerdings nicht, dafür den Kinotrailer und ein Interview mit Édouard Molinaro als Extras. Empfehlenswert!