Larenz Tate, Keith David, Chris Tucker, Freddy Rodríguez, Rose Jackson
Der Nordosten der Bronx, New York, im Jahr 1968: Der junge Afroamerikaner Anthony Curtiz (Larenz Tate) verteilt frühmorgens Milchflaschen auf den Treppenabsätzen der Mietshäuser, es ist sein Schülerjob, und seine Klassenkameraden Skip (Chris Tucker) und Jose (Freddy Rodgríguez) sind mit von der Partie. Die drei sind der Schulzeit allesamt überdrüssig, prahlen voreinander mit ihren sexuellen Abenteuern und wissen nicht so recht, was sie mit ihrem Leben in Kürze anfangen wollen. Während Anthony seine Flaschen mit der Milch vor dem Haus der Bensons abstellt, erscheint wie jeden Morgen die hübsche Delilah in der Tür, die angeblich nur wegen ihres Studiums so früh aufsteht. Als sich Anthony nach ihrer Schwester Juanita (Rose Jackson) erkundigt, entgegnet Delilah, sie noch schlafe. Doch als Anthony des Weges ziehen will, zeigt sich Juanita am Fenster des Dachgeschosses und flirtet mit ihm… Frühjahr 1969: Für den Kleinkriminellen Kirby (Keith David) besorgt Anthony auf den Straße der Bronx das Eintreiben der Gelder im illegalen Lotteriespiel, das sich für alle Beteiligten als einträglich erweist. Als er die Tageseinnahmen und die Lotterienummern in der Hinterstube eines im Keller gelegenen Billardhalle an Kirby übergibt, sieht er dort auch weiße Männer in Polizeiuniformen ihre Dollarscheine zählen. Kirby ist Veteran des Koreakrieges und verlor dort ein Bein, aber für den jungen Anthony ist der abgebrühte Gauner, der seinen Schützling "Youngblood" nennt, eine Leitfigur…
“The Hughes brothers (…) give "Dead Presidents" an obvious film noir framework. Like "Criss Cross", the movie begins with the setup for an armored car robbery, then doubles back to show us how everyone got there”, schrieb Michael Wilmington anlässlich der Premiere des Films in einem umfassenden und klugen Essay für die Chicago Tribune. Im Alter von lediglich 23 Jahren brachten die eineiigen Zwillingen Albert und Allen Hughes 1995 ihren zweiten Spielfilm in die Kinos, nachdem sie sich zwei Jahre zuvor mit Menace II Society (USA 1993) als Autoren und Regisseure im Fahrwasser von Spike Lee, Mario Van Peebles and John Singleton platziert hatten. Die Brüder begrenzen sich aber nicht auf einen Thriller, sie wollen die Geschichte des Rollencharakters Anthony Curtis über einen Zeitraum von 6 Jahren bebildern und ihre Anlage ist die des epischen Erzählkinos. So erinnert der Film zu Teilen nicht zufällig ans Kino der 70er Jahre, dem Zeitraum der Handlung, vor allem an Michael Ciminos Die durch die Hölle gehen (USA 1978) und auch an Martin Scorseses Taxi Driver (1976). Der Kriegsheimkehrer ist sowohl im klassischen Film Noir als auch im Neo Noir eine zentrale Figur, von den traumatisierten Weltkriegssoldaten in Die blaue Dahlie (USA 1946) und Anklage - Mord (USA 1947) bis zu den gleichermaßen extrem geschädigten Vietnam-Heimkehrern in Der Augenzeuge (USA 1981) oder Final Night – Die letzte Nacht (USA/UK/CAN 1988). In all diesen Filmen fehlt Vietnam als ein Ort des Geschehens oder ist nur kurz in Träumen und Rückblenden zu sehen. In Dead Presidents gibt es einen 20-minütigen Mittelteil, der fast 4 Jahre im Leben des Anthony Curtis’ und seiner Freunde umfasst und einzig dem extrem brutalen und grausamen Geschehen am Kriegsschauplatz vorbehalten ist. Vor allem aber ist dieser Film der Hughes Brothers der afroamerikanischen Bevölkerung vorbehalten; bis auf den Latino Jose gibt es keine hellhäutigen Figuren von Rang. Das für mich herausragende Element dieses Werks, das Teil des New Black Cinema der 90er Jahre ist und zugleich ans Blackploitation-Kino der frühen 70er Jahre anschließt, ist seine explizit politsche Positionierung. Noch in den zutiefst tragischen Momenten des US-amerikanischen Neo Noirs bleibt das Verhältnis zu Gott und Vaterland meist ungebrochen loyal; sein Patriotismus ist dem US-Bürger in der Regel geradezu heilig.
“It's not your fault you've been brainwashed by America.” Gott ist in den USA einzig das Geld, durch den Kodex einer im Christentum verwurzelten Vaterlandstreue maskiert. So lautet die Botschaft des Films, oder zumindest ist es eine Botschaft, welche in der Erzählung aus der Feder der Brüder und ihres Co-Autors Michael Henry Brown (Undervover – In Too Deep, USA 1999) einen zentralen Platz zugestanden bekommt. Basierend auf realen Ereignissen war dem Film im Kino kein Erfolg beschert. Es mag an der expliziten Gewaltdarstellung oder am erneuten Abebben des Interesses am afroamerikanischen Kino gelegen haben. Albert und Allen Hughes arbeiteten fortan teils solo, teils gemeinsam, aber ihr nächster Spielfilm From Hell (USA 2001) war nur mehr blutiger Hollywoodmainstream. Von den Darstellern wurde keiner zum Star, demgegenüber die meisten von ihnen 25 Jahre später noch aktiv sind. Dead Presidents zeichnet sich durch die Kameraarbeit Lisa Rinzlers, durch die Schauspieler und durch eine engagierte und kompromisslose Enttabuisierung der Epoche aus. Doch der Film zeigt auch klare Schwächen: zu viel Popmusik als Geschmacksverstärker, zu wenig Charaktertiefe bei Anthony Curtis, und jene Zeitsprünge in der Handlung, welche die afroamerikanische Community bis auf die letzten 15 Minuten vom Rest der USA isoliert. Dennoch spreche ich eine Empfehlung aus, denn das Werk ist couragiert und gewinnt zunehmend ein ureigenes Profil.
Der Film lief nie im deutschen Kino und kam 1996 via Buena Vista Home Entertainment GmbH mit einer FSK-18-Wertung als VHS-Videokassette und als Laser-Disc auf den Markt. Eine deutsche DVD gibt es meines Wissens nach nur als Bootleg; die Laufzeit wird allerorten mit 114 Minuten angegeben und damit 2 Minuten kürzer als die britische DVD (1998, PAL), die den Film ungekürzt im Originalformat und mit der englischen Tonspur und mit Kinosynchronisationen auf Französisch und Italienisch sowie optional mit englischen und mit niederländischen Untertiteln präsentiert. Die englische DVD ist beidseitig abspielbar und muss folglich in der Filmmitte umgedreht werden, Extras gibt es keine.