Emma Penella, Arturo de Córdova, Félix Dafauce, Pilar Soler, Félix Acaso
In dem Ferienort Gijón an der spanischen Atlantikküste erschweren Herbststürme und Wolkenbrüche das Leben vor Ort. Die Bewohner halten Fensterläden und Türen fest verschlossen, indessen draußen die Naturgewalten toben. Auch für die nächsten Tage verheißt die Wettervorhersage keine Besserung. Im Hotel Savoy ist der Nachtportier (Manuel de Juan) deshalb überrascht, als spät nachts Senor Hugo Pascal (Arturo de Córdova) und seine deutlich jüngere Verlobte Ivón (Emma Penella) aus Madrid anreisen. Pascal bucht ein Zimmer fürs sich, eines für Ivón und ein drittes für seinen 19-jährigen Sohn Carlos, der trotz des Sturms stets draußen vor einem Schaufenster steht. Als Ivón kurz hinausruft, um ihn zur Eile zu mahnen, bleibt er der Lobby weiterhin fern. So begleitet der Portier das Paar in den zweiten Stock, um ihnen dort ihre Zimmer anzuweisen. Die neuen Gäste sind damit auch zufrieden, und Ivón begibt sich unverzüglich unter die Dusche. Unter dem Eindruck seine Schuldigkeit getan zu haben, begibt sich der Portier über die Treppe nach unten, um endlich den Sprössling Carlos in Empfang zu nehmen. Als er an der Rezeption ankommt, stellt er jedoch fest, dass sich jener bereits ins Register eingetragen hat und mit dem Fahrstuhl auf dem Weg in den zweiten Stock ist. Allerdings ist der Portier außer sich vor Zorn, als er feststellt, dass Carlos den Federhalter in das Holz des Empfangstresens rammte…
Das faschistische Spanien unter der Knute seines Diktators Francisco Franco ist nicht für eine eigenständige Film-Noir-Tradition populär. Wiederentdeckungen von Werken der dortigen Filmklassik erweisen sich mitunter aber als überraschend dunkel und hochwertig. Das mit dem mexikanischen Filmstar Arturo de Córdova und einer 24-jährigen Emma Penella besetzte Filmdrama Los poces rojos bietet eine überbordende und in vieler Hinsicht stürmische Erzählung um Eitelkeit, Betrug und Leidenschaft. Sein Autor Carlos Blanco und sein Regisseur José Antonio Nieves Conde porträtieren zwei Menschen in Liebe vereint und verzehrt von Eifersucht und Habgier, zudem voller krimineller Energie gespeist aus der Sehnsucht nach einem Leben in Freiheit und in Sorglosigkeit. Nachdem in einer sturmgepeitschten Nacht am Atlantik Hugo Pascals Sohn Carlos von der Brandung des Ozeans verschluckt wurde, gibt solcher Unfall dem ermittelnden Kommissar der Polizei, Don Jesús (Félix Dafauce), bald einige Rätsel auf. Als sich schließlich herausstellt, dass der mittellose Hugo durch den Tod seines Sohnes in den Genuss einer millionenschweren Erbschaft gelangen wird, wachsen die Zweifel an den Geschehnissen in jener Nacht, wie sie durch Ivón und Hugo zu Protokoll gegeben wurden. Um es kurz zu machen: Diese Filmerzählung ist ebenso hanebüchen wie unwiderstehlich, so absurd wie mit einigem Geschick und mit viel Liebe zu den handelnden Personen konstruiert. Und obgleich der Zuschauer schon im ersten Drittel Lunte riecht, was es mit solchem Trio in jener wilden Nacht wirklich auf sich hat, halten Blanco und Nieve Conde ihn mit der Komplexität ihrer Rollencharaktere bei der Stange. Mit einer Überraschung ist es in Los peces rojos längst nicht getan. Wir Zuschauer lernen die Figuren bis zur Schlusssequenz nochmals genauer kennen – der Faden reißt nicht ab.
Wie in Beispielen eines Film Noirs aus Lateinamerika lebt Los peces rojos vom tief wurzelnden Temperament seiner Figuren. Von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt sind für Ivón und Hugo die Wege immerzu kurz. Mal betrügen sie einander, mal betrügen sie zu zweit den Rest der Welt, und mehr als einmal sehen sie sich mit der Gretchenfrage konfrontiert. Entweder ganz oder gar nicht: diese schillernden Charaktere im Wechselbad der Extreme sind auch dank ihrer wunderbaren Schauspieler ein Genuss. Doch ähnlich wie bei Christian Petzolds Phoenix (GER 2014) fiel es mir beizeiten schwer, die zentrale Prämisse der Handlung nicht in Zweifel zu ziehen. Ohne sie funktioniert die Geschichte nicht, und das Maß an Naivität, das wir als Zuschauer einer Reihe von Nebenfiguren zuschreiben müssen, ist schon enorm. Mir persönlich waren auch Finale und Schluss ein wenig zu schwach, ohne dass sie mir den Genuss des Werks im Ganzen jedoch verleideten. In letzter Konsequenz bleibt Los peces rojos ein überaus eigenwilliger europäischer Film Noir von gehobenem Niveau, der auch jenseits Spaniens einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden müsste.
Allein im Land seiner Entstehung, in Spanien, wurde Los peces rojos bei Divisa Red, S.A.U. als DVD (2007) veröffentlicht, bild- und tontechnisch nicht brillant, allemal gut, aber lediglich mit der original spanischen oder der kastilischen Tonspur ohne Untertitel und ohne Extras.