Michael Nyqvist, Noomi Rapace, Lena Endre, Peter Andersson, Michalis Koutsogiannakis
Seit dem Fall und dem Selbstmord des Industriellen Hans-Erik Wennerström (Stefan Sauk) ist ein gutes Jahr vergangen und Lisbeth Salander (Noomi Rapace) lebt auf einer karibischen Insel in einer luxuriösen Villa. Als brillante Hackerin hatte sie sich mehrere Millionen Kronen aus Wennerströms Nachlass illegal angeignet und ist seither untergetaucht. Mit ihrem Finanzberater bespricht sie nun, nach Stockholm zurückzukehren und dort ein Apartment anzumieten. So verabschiedet sie sich eines Morgens von ihrem Liebhaber George und verlässt mit ihrem Rollkoffer das tropische Idyll… In der schwedischen Hauptstadt ist Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist), inzwischen als Jornalist rehabilitiert, erneut Herausgeber und federführender Autor des Polit-Journals Millenium. Noch immer unterhält er eine Affäre mit seiner verheirateten Kollegin Erika Berger (Lena Endre). Aktuell bietet Dag Svensson (Hans-Christian Thulin) dem Magazin seine ausführlichen Recherchen zum Mädchenhandel und zur Zwangsprostitution als Material für eine neue Enthüllungsstory an. Seine Erkenntnisse stützen sich großteils auf die Dissertation seiner Freundin Mia Bergman (Jennie Silfverhjelm), die dafür mit einigen Prostituierten und deren Freiern Interviews führte… Der Rechtsanwalt Nils Bjurman (Peter Andersson) erhält beim Mittagessen in einem Restaurant ungebetenen Besuch von einem blonden Hünen namens Roland Niederman (Mikael Spreitz), der ihn nach seinen Vormundschaftsberichten für Lisbeth Salander fragt und deren Herausgabe fordert…
Die Verfilmung von Stieg Larssons zweitem Roman (EA 2006) seiner Millenium-Trilogie, der auf Deutsch als Verdammnis erschien und der in der wörtlichen Übersetzung Das Mädchen, das mit Feuer spielte hätte heißen müssen, führt die Stärken und Schwächen von Verblendung (SWE/DNK/GER/NOR 2009) nahtlos fort. Es wird also nicht besser, zugleich rutscht das Niveau trotz eines anderen Regisseurs und anderer Dehbuchautoren nicht weiter ab. Im Ganzen sind die Erzählstränge der Handlung, die Menschenhandel und Prostitution mit der Vergangenheit und Lebensgeschichte Lisbeth Salanders in Zusammernhang bringt, leidlich spannend konstruiert, Insofern ist der Film sicher kein Ärgernis und hält sein Mainstream-Publikum bei der Stange. Doch bereits die Redaktionssitzungen bei Millenium, in denen die investigativen Journalisten über den Stand ihrer Recherchen, die Sicherheit ihrer Quellen und über ihre Strategie beraten, strotzen (zumindest auf Deutsch) vor knalldoofen Dialogen, die auf völlige Ahnungslosigkeit und auf Dilletantismus schließen lassen. Ebenso durchsichtig sind die Konflikte und Charakterzeichnungen im Ermittlerteam der Polizei, das sich nach mehreren Morden parallel zu Mikael Blomkvist in die Untersuchung einschaltet. Hier zeigt das Drehbuch die Raffinesse einer x-beliebigen bundesdeutschen Vorabendserie und ist meilenweit vom hohen Standard entfernt, den mit Blick auf den Nordic Noir etwa Søren Sveistrups erste Staffel von Kommissarin Lund – Das Verbrechen (DNK/NOR/GER 2007) exemplarisch zur Perfektion trieb. In Verdammnis agieren Polizei und Staatsanwalt im Dienst der Drehbuchautoren unglaubwürdig naiv, um auf diese Weise das Spannungsmoment zu erhöhen. Leider ist es so konstruiert, dass man unwillkürlich seufzen oder gähnen muss.
“It's bizarre. Precisely why the gaping plot holes and glaring implausibilities that riddle this film are being so casually forgiven simply challenge rational explanation“, schreibt Jim Schembri für The Sydney Morning Herald und mir geht es ähnlich. Viele der die Handlung entwickelnden Ereignisse entbehren aus der Perspektive der agierenden Personen der Notwendigkeit. Warum genau wird diese Figur jetzt ermordet? Warum wird eine andere entführt, und warum soll sie ebenfalls getötet werden? Dass man auf einer Mordwaffe die Fingerabdrücke von Lisbeth Salander findet, ist eine pure Koinizidenz und war für den wirklichen Mörder nie vorhersehbar. Haufenweise Dinge sollen aussehen, als seien sie Teile einer raffinierten Strategie, die ein geheimnisvoller Unbekannter ganz bewusst gegen die Protagonisten in Anschlag bringt. Doch der aufmerksame Zuschauer erkennt, dass all das rein willkürlich in Bewegung gerät – weil es die Drehbuchautoren so wünschen. Unterhaltsam ist das Puzzle um die Biografie der Lisbeth Salander ganz sicher, zudem wird letztere von Noomi Rapace überzeugend verkörpert, Genuss finden daran aber nur diejenigen, die vor dem Bildschirm oder vor der Leinwand bei der Spurensuche Lisbeth Salanders, den Journalisten und der Polizei nicht eigenständig mitdenken. Das Filmland Schweden hat großartige Neo Noirs zu bieten, man denke nur an Jägarna (SWE 1996), aber kaum eine Serie von Kinofilmen, ursprünglich fürs Fernsehen gedreht, war so erfolgreich wie die Millenium-Trilogie aus dem Jahr 2009. Seltsam!
Die ungekürzte Fassung von 183 (NTSC) oder 176 (PAL) Minuten erhält man nur in den 3-BD- oder 3-DVD-Editionen (2013), die via Warner Bros. unter dem Titel Stieg Larsson - Millenium-Trilogie: Director’s Cut die Teile Verblendung (2009), Verdammnis (2009) und Vergebung (2009) als sechstteilige TV-Serie beinhalten und im Vergleich zu den Kinofassungen 90 Minuten mehr Spielzeit bieten. Diese Editionen sind preisgünstig, doch viele Käufer der BD sind mit der Bildqualität unzufrieden, außerdem sind weder Extras noch die original schwedische Tonspur oder Untertitel beinhaltet. Man ist gezwungen, die Serie auf Deutsch zu sehen, was in Anbetracht der Möglichkeiten, die das Medium böte, eine Missachtung der Ansprüche des Publikums und einen Rückfall ins Zeitalter der VHS-Videokassette bedeutet.