Emmanuelle Devos, Nathalie Baye, David Clavel, Diane Rouxel, Oliver Chantreau
Nach dem Unfalltod ihres einzigen Sohnes Luc (Paulin Jaccoud) erholt sich die von ihrem Ehemann Simon (Samuel Labarthe) seither getrennt lebende Mutter Diane Kramer (Emmanuelle Devos) in einem Sanatorium nahe Lausanne. Eines Morgens beschließt sie, sich aus dem Staub zu machen und kehrt unerwartet in die am Genfer See gelegene Villa der Eheleute zurück, wo sie dem überraschten Simon begegnet. Diane hat einen Privatdetektiv (Jean-Philippe Écoffey) beauftragt, den Hergang des tödlichen Unglücks zu recherchieren, nachdem Fahrer und Beifahrer des Unfallfahrzeugs Fahrerflucht begingen und die Polizei sich untätig zeigt. Die Aussagen eines Busfahrers bringen Diane auf die Spur der gewissenlosen Täter, die eine goldbraune Limousine älteren Baujahrs fahren sollen. Davon sind in der Gegend zwischen Lugrin und Evian nur wenige zugelassen. Mit einer vagen Personenbeschreibung gerüstet, begibt sich Diane Kramer auf die Suche der vom Detektiv recherchierten Autos und stößt schon bald auf die in Evian lebende Marlène (Nathalie Baye), die einen gut gehenden Kosmetiksalon betreibt. Eine Blondine soll gefahren und ein Mann auf dem Beifahrersitz gesessen haben, so viel weiß Diane, als sie den jüngeren Liebhaber von Marlène, einen Aquafitness-Trainer namens Michel (David Clavel) erspäht. Sie findet heraus, dass der von den beiden genutzte Mercedes aus den 70er Jahren zum Verkauf steht. In Evian begibt sich Diane Kramer in Marlènes Salon und lässt sich von ihr beraten…
“Two stories are fighting for supremacy here: a conventional revenge tale and a chilly, quasi-Chabrolian analysis of a fraught family from an outsider’s vantage point." So fasst es Chuck Bowen für das Slant Magazine präzise zusammen und bringt damit bereits Hinweise auf die Schwierigkeiten, die ich selbst mit diesem Film hatte. Für einen Thriller kommt das Werk von Anbeginn nicht in Fahrt. Für ein psychologisches Drama bleibt die Figur der Diane Kramer, auf die es sich großteils fokussiert, viel zu distanziert und zu blass. Das ist nicht die Schuld der Schauspielerin Emmanuelle Devos, mit der der Autor und Regisseur Frédéric Mermoud nach seinem grandiosen Neo Noir Komplizen (FRA/SUI 2009) unbedingt erneut zusammenarbeiten wollte. Sie tritt wie in vielen ihrer Rollen mit dem ihr eigenen Understatement und mit einer dennoch starken Bühnenpräsenz in Erscheinung. Aber von Anbeginn klebt die Kamera an jeder Bewegung ihrer Figur, sieht ihr bei allem genau zu. Solches künstliche Auge scheint mitteilen zu wollen, hier gäbe es viel zu entdecken, lernten wir es zu sehen. Doch was man findet, ist bloß die Indifferenz einer Trauernden, die selbstredend nicht Abschied zu nehmen und nirgendwo anzukommen vermag, auch nicht beim dröhnenden Schlusspunkt einer vollzogenen Rache, wie sie sich nach dem Auffinden der Schuldigen eindeutig anböte. Diane folgt dieser Spur und aus diesem Ansatz und der Vielzahl missverständlicher oder auch missglückter Begegnungen könnten sich Momente der Spannung und solche der Intensität und des Auslotens charakterlicher Untiefen ergeben. Letzteres findet tatsächlich statt, mit dem Kleinkriminellen Vincent (Oliver Chantreau) und mit Marelènes Tochter Elodie (Diane Rouxel) als fein gezeichneten Nebenfiguren. Doch im Unterschied zu Mermouds Erstling Komplizen bleiben sie auf der Strecke, kümmert sich das Drehbuch nur bruchstückhaft um die Vielfalt seiner Figuren und führt uns bald wieder in das von Diane wie planlos angestoßene Hin und Her auf dem Weg zur Rache - nicht Fisch und nicht Fleisch.
Moka ist die Erstverfilmung des gleichnamigen Romans (EA 2006) aus der Feder von Tatiana de Rosnay. Dennoch haben viele Kritiker auf die zahlreichen Parallelen zu Claude Chabrols Das Biest muss sterben (FRA/ITA 1969) hingewiesen, einen komplexen Thriller, der sich zuletzt mehr auf die gesellschaftlichen Implikationen einer ethischen Norm und auf die Geschichte und ihre Handlungsträger fokussierte, nicht auf eine einzelne Person. Tatsächlich sind im Handlungsverlauf und in der Anlage viele Ähnlichkeiten festzustellen, nur dass eben Frédéric Mermouds Portrait einer Einzelnen den vielschichtigen Implikationen, wie sie in Analogie zu Claude Chabrol auch Chuck Bowen andeutet, nicht gerecht wird. Moka hätte Emmanuelle Devos die Chance bieten können, nach ihrer wunderbaren subtil ausgestalteten Hauptrolle in Jacques Audiards Neo Noir Tödliche Bekenntnisse (FRA 2001) ein weiteres Mal zu glänzen. Das aber findet trotz reichlich Potential im Ganzen und trotz gelungener Sequenzen im Einzelnen nicht statt. Stattdessen hinterlässt Mermouds Film seine Zuschauer - ungeachtet des Ringens ums brisante Thema- tendenziell enttäuscht.
Erstklassige DVD-Edition von Frenetic Films / moviemento (2017) mit dem Film ungekürzt im Originalformat, dazu die original französische Tonspur mit optional zuschaltbaren englischen Untertiteln sowie einigen Extras nur auf Französisch.