Film Noir
| UK
| 1952
| Anthony Kimmins
| Bernard Lee
| Herbert Lom
| John Mills
| John Stuart
| Ronald Adam
| Sam Kydd
| Sam Wanamaker
| Wilfrid Hyde-White
| Freda Jackson
Bewertung
***
Originaltitel
Mr. Denning Drives North
Kategorie
Film Noir
Land
UK
Erscheinungsjahr
1952
Darsteller
John Mills, Phyllis Calvert, Eileen More, Sam Wanamaker, Herbert Lom
Regie
Anthony Kimmins
Farbe
s/w
Laufzeit
92 min
Bildformat
Vollbild
Flugzeugfabrikant und Chefdesigner Tom Denning (John Mills) ist für seine Kollegen und Mitarbeiter aktuell kein einfacher Chef. Alle neuen Entwürfe verschiebt er und begibt sich vorzeitig nach Hause, wo er bei einem Drink die Zeitung durchforstet und die Radionachrichten hört. Für seine Familie hätte er immerhin keinen Grund, an Alpträumen zu leiden. Tatsächlich aber sieht ihn nicht nur seine Frau Kay (Phyllis Calvert) des Nachts aus dunklen Fantasien hochschrecken. Auch Tochter Liz (Eileen More) findet den Vater, der ihre Ankunft aus der Schweiz am Flughafen verpasste, verändert vor. Er trinkt zu jeder Gelegenheit, ist zerstreut und abgespannt, obendrein humorlos und empfindsam. Der US-amerikanische Anwalt Chick Eddowes (Sam Wanamaker), ein Bekannter Tom Dennings, der in England zu Besuch ist und bei der Familie ein und aus geht, stört sich weniger daran, kommt er doch der Tochter des Hauses somit näher. Zwischen Liz und ihrem Vater steht kaum noch deren Beziehung zu einem Amerikaner namens Mados (Herbert Lom), die vor zwei Monaten seitens des dubiosen Mannes schriftlich aufgekündigt wurde. Tom Denning hatte seinerzeit Grund gesehen zu intervenieren, nachdem er Erkundigungen über Mados eingezogen hatte, die jenen in einem schlechten Licht gezeigt hatten. Doch was geschah in jener Nacht, als sich Denning auf den Weg begeben hatte, um mit Mados eine Aussprache herbei zu führen? Als es mit seinem Zustand partout nicht besser wird, führt das zwischen ihm und Kay zur Aussprache. Blut klebe an seinen Händen, gesteht ihr der Ehemann, das Blut des Liebhabers seiner Tochter…
Das Skript hat Potential, John Mills erweist sich in der Hauptrolle als formidabler Film-Noir-Charakter, eine gepeinigte Seele par excellence, und die Nachtszenen sind auf der Höhe ihrer Zeit – harte Kontraste und reichlich Dunkelheit im Innen und im Außen solcher Welt. Zudem zeichnet sich Der Täter fährt nach Norden durch ein Finale und ein Ende aus, wie es im US-amerikanischen Filmschaffen und sicher auch in Deutschland zu der Zeit kaum denkbar gewesen wäre. Man fragt sich, ob dieses Übermaß an Härte und Zynismus, das damit verbunden ist, seitens Produktion und Regie schlicht ausgeblendet wurde. Ja, es gibt einiges, was Klasse aufweist und den Weg zu einem dunklen Thriller weist. Doch das ist Der Täter fährt nach Norden leider nicht. Zu sehr verliert sich der Film in der Spießigkeit des Familienalltags, daraus das nächtliche Treiben Tom Dennings heraussticht, so wie Mr. Hyde dem Dr. Jeckyll entspringt. Vergleichbar Police Detective Mark Dixon (Dana Andrews) in Otto Premingers Faustrecht der Großstadt (USA 1950) hat Tom Denning allerhand zu verbergen, was er nicht ungeschehen machen kann. Auch Max Ophüls‘ Film Noir Schweigegeld für Liebesbriefe (USA 1949) ist keinen Steinwurf von dieser Verfilmung des gleichnamigen Romans von Alex Coppel entfernt. Aber von Einsicht und Selbstreflexion fehlt bei Tom Denning bald jede Spur. Er ist einzig bemüht, sein Verbrechen zu vertuschen, und darin liegt in guten Momenten der Reiz eines Films, dem sein Ende die Krone aufsetzt.
Im Übrigen sind die Charaktere jedoch zu blass und banal, um das Interesse des Zuschauers zu fesseln, allen voran die spießigen Frauenfiguren, denen Mados als einziger Antipode entgegen steht, indessen sie sonst von großbürgerlicher Behaglichkeit eingerahmt bleiben. Die Gegen- und Randgesellschaft, interessanterweise im Lauf des Films durch die Volksgruppe der Sinti und Roma auf eine für den Film jener Zeit seltene und auffällig authentische Weise porträtiert, ist lediglich Bestandteil des Kriminalfalls, dessen rein technische Aspekte immer mehr in den Vordergrund rücken. Es ist genau dieser Umstand, – „Wird er entdeckt, wird er nicht?“ - der die Geschichte im letzten Drittel fade werden lässt. Die verheißungsvollen, psychologischen Implikationen der Tat verlieren sich im Einerlei der perfekten Eheharmonie. Das ist bedauerlich, denn mit John Mills, Herbert Lom und zudem Bernard Lee sind Darsteller am Werk, denen zuzusehen immer Freude macht. Viel verschenktes Potential also, das immerhin John Mills im darauf folgenden Jahr in The Long Memory (UK 1953) nochmals pointierter ausspielen konnte, wo er einen durchaus seelenverwandten Getriebenen zu porträtieren hatte. Trotz einer Reihe von Film-Noir-Anleihen ist Der Täter fährt nach Norden keinesfalls ein Muss.
Wie mancher englische Film Noir der Nachkriegsjahre bis Mitte der Fünfziger war Der Täter fährt nach Norden eine lange Zeit obskur. Die von Network (UK) im Juni 2015 veröffentlichte DVD-Ausgabe mit dem ungekürzten Film in guter Bildqualität und im korrekten Format, ohne Untertitel und ohne Extras, ist inzwischen aber auch in Deutschland erhältlich.