Jürgen Prochnow, Annette von Klier, Franz Buchrieser, Stefan Meinke, Krystyna Janda
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Köln am Rhein bei Nacht: Ein Polizeibeamter (Jürgen Prochnow) nähert sich über die Auffahrt an dem dort geparkten Kleinwagen vorbei einem Haus, als darin jemand das Licht löscht. Er zückt seine Waffe, duckt sich und springt kopfüber durch das Glas der Eingangstür, richtet sich auf, schießt und sprintet ins Wohnzimmer, wo er hinter einem Kanapee Schutz sucht. In der Haustür taucht die Silhouette eines Mannes mit Hut auf, er schießt erneut und danach in die Küche, bevor er die letzte verbliebene Lampe löscht und durch eine Tür das Gebäude verlässt. Das Licht geht an, alles war bloß eine Simulation zu Übungszwecken im Nahkampf in einer Halle der Kriminalpolizei Köln, bei der der Beamte von 100 möglichen Punkten 93 erhielt. Zurück im Büro sitzt dort sein Kollege Otto (Franz Buchrieser) mit einem Teller Pommes frites zur Hand. Er zählt von der Zahl 10 rückwärts und jedesmal, wenn der Countdown bei 0 ankommt und der zum Verhör geladene Verdächtige auf seinem Stuhl stumm bleibt, schlägt er ihm ins Gesicht… Otto und der “Bulle“ fahren mit ihrem Opel Diplomat B durch das nächtliche Köln, nehmen routinemäßig auf offener Straße Kriminelle fest. Als sie einen Zweikampf beobachten, wetten sie, wer ihn gewinnen wird. Später im Leichenschauhaus sehen sie den Leichnam des Siegers, und der Bulle muss den Gewinn und seinen eigenen Einsatz an Otto zurückzahlen. Erst in den Morgenstunden kommt der Bulle mit einer Prostituierten (Ulrike Beimpold) im Schlepptau in sein spartanisch möbliertes Apartment…
„Der Bulle & das Mädchen, dieser Film ohne Plot, ist kunstvoll strukturiert, randvoll mit Bedeutung, ist allegorisches Märchen als filmische Abhandlung“, schreibt Sano Cestnik in seinem Blog Eskalierende Träume über solche deutsch-österreichische Co-Produktion aus der Mitte der 80er Jahre. Und genau so sollte man über den Film schreiben, der allerorten als “Actionkrimi“ oder “Actionfilm“ gelistet wird, weil man derartige Begriffe im Internet voneinander übernimmt, sie bloß abschreibt und damit falsche Erwartungen schürt. Dabei gehört Peter Keglevic‘ Drama zu den wenigen Beispielen eines deutschsprachigen Neo Noirs nach dem Vorbild französischer und US-amerikanischer Werke aus jenen Jahren und nach Motiven des klassischen Film Noirs. Der Cop, der sich seine Pistole stehlen lässt, das ist Akira Kurosawas Ein streunender Hund / Ein herrenloser Hund (JPN 1949), die Liebenden ohne eine Chance finden sich in Nicholas Rays Im Schatten der Nacht (USA 1948) und der Polizeibeamte, der wider seinen Diensteid die Seiten wechselt, ist schon in Richard Quines Schachmatt (USA 1954) die zentrale Figur. Ansonsten erinnert Prochnows “Bulle“ an Inspektor Marc Ferrot (Yves Montand) in Alain Corneaus Im tödlichen Kreis (FRA/GER 1975) und seine Beziehung zum “Mädchen“ an Claude Berris Am Rande der Nacht (FRA 1983), wo der vollends desillusionierte ex-Polizist Lambert (Coluche) eine Affäre mit der 16 Jahre jüngeren Punkette Lola (Agnès Soral) beginnt, zwei entwurzelte und vom Leben geschlagene Außenseiter, denen die Liebe zur letzten Zuflucht wird. Zur Zeit des Drehs von Der Bulle und das Mädchen war Prochnow 43 Jahre alt und Annette von Klier 21, und wenn es etwas gibt, das allen Rollencharakteren dieses Werks abgeht, sind es Illusionen. Nein, in jenen 80er Jahren bietet die grimmig graue Realität der Bundesrepublik Deutschland den Flüchtigen keinerlei Versteck und damit keine Zukunft.
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Pea Fröhlich und Peter Märthesheimer, welche das Drehbuch verfassten, waren als Autoren-Duo unter Rainer Werner Fassbinder herangewachsen, für dessen BRD-Trilogie bestehend aus Die Ehe der Maria Braun (GER 1979), Lola (GER 1981) und Die Sehnsucht der Veronika Voss (GER 1982) sie jeweils das Skript geschrieben hatten. Tatsächlich atmet auch Der Bulle & das Mädchen den tief wurzelnden Nihilismus Fassbinders und seiner Zeit, denn das Leben in Stadt und Land einer bundesrepublikanischen Realität entspricht dem Kampf ums Überleben in einem Dschungel. Auffällig ist das nahezu Animalische im Verhalten und in den Beziehungen der Charaktere zueinander. Das von instinkthaftem Misstrauen gespeiste Taxieren der Protagonisten, ihr jeweils unterkühlter Egoismus, Reflex des Überlebens in einer immerzu und allerorten feindlich gesinnten Umgebung, die maskenhafte Härte und die Ablehnung des Anderen, es zeichnet sie aus - den Bullen ebenso wie das Mädchen. Leider krankt der Film an seiner Filmmusik, die heute furchtbar anachronistisch klingt und stets im falschen Augenblick die Dramatik hochputschen soll. Finale und Schluss wirken hastig und hätten in ihrer Konsequenz mehr Sorgfalt, den Verzicht auf Musik und eine oder zwei Minuten zusätzlich vertragen können. Peter Keglevic‘ romantisch-tragischer Neo Noir ist alles andere als ein schlechter Film, hätte aber ein nochmals besserer werden können. Nur sah man sich in jenen 80er Jahren schon wieder stärker dem Zeitgeist und dem Kommerz verpflichtet, und das zeigt sich hier.
Es gibt eine gute DVD-Edition (2003) der Marketing Film mit dem Film ungekürzt im Originalformat, dazu die deutsche Originaltonspur und sogar eine englische Synchronisation, allerdings ohne Untertitel, dafür als Extras den Kinotrailer und ein Teaser sowie Standfotos, Werbematerial, Interviews als Schrifttafeln und diverse Filmografien. Durchaus empfehlenswert für alle Freunde des Neo Noirs und für diejenigen des deutschsprachigen Films.