Catherine Allégret, Jacques Perrin, Simone Signoret, Michel Piccoli, Pascale Roberts
Der Hauptbahnhof in Avignon, Südfrankreich: Es ist spät am Abend, als Benjamine Bombat (Catherine Allégret) mit ihrem Koffer den Eilzug von Marseille nach Paris besteigt, wo sie eine Stelle in einem Sekretariat antreten wird. Beim Einsteigen hilft ihr ein junger Mann namens Daniel (Jacques Perrin), der jedoch durch seine Ungeschicklichkeit mit den Metallkappen seiner Schuhe eine Laufmasche in Benjamines Nylonstrümpfe reißt. Die junge Frau hat in der zweiten Klasse eines Schlafwagens eine Liege gemietet. In dem engen Abteil mit seinen sechs an der Wand hängenden Schlafstätten ist es für Benjamine Bombat nicht leicht sich einzurichten. Die Schauspielerin Eliane Darrès (Simone Signoret), die mit ihrem Schoßhund Ophelia reist, gibt ihr den Rat, die vorhandene Leselampe einzuschalten. Die für eine Kosmetikfirma im Außendienst arbeitende Georgette Thomas (Pascale Roberts) liegt lesend in ihrer Liege, indessen der auf der anderen Seite ganz unten platzierte René Cabourg (Michel Piccoli) lüstern auf ihre im Spiegel sichtbaren Beine in Nylonstrümpfen emporblickt, die aus Georgettes kaum knielangen Rock hervorragen. Als der Schaffner (Serge Rosseau) wegen der Kontrolle der Fahrkarten in dem wieder fahrenden Zug ins Abteil tritt, steht Mademoiselle Thomas auf, klettert aus dem Bett und lächelt Cabourrg zu. Inzwischen ist Benjamine vor dem Waschraum, in den Daniel sich eingeschlossen hat, weil er keine Fahrkarte hat. Sie ist entsetzt darüber, erklärt sich aber bereit ihm aus seiner Notlage zu helfen…
“Costa-Gavras‘s first feature film is a film noir about a difficult manhunt on a night train in which appearances are deceiving and no one is to be trusted”, heißt es in einem Ankündigungstext für das Luxembourg City Film Festival 2022, und tatsächlich bringt diese Zusammenfassung unterschiedliche Aspekte des Werks auf den Punkt. Der Reiz dieses Films, der für lange Zeit gar nicht greifbar war, bestand für mich von vornherein aber nicht im klangvollen Namen seines später zu Ruhm gelangten Regisseurs oder in der Vielzahl französischer Filmstars, - Yves Montand, Simone Signoret, Michel Piccoli, Jean-Luis Trintignant, etc. – die ihn veredeln, sondern im Autor der gleichnamigen Romanvorlage (EA 1962, auf Deutsch 1964), Sebastién Japrisot. Jener zweite Roman aus seiner Feder, der zugleich den Start in seine Karriere als Kriminalschriftseller markierte, ist großartig. Costa-Gavras’ Film ist es nicht, vermag mit der spürbar respektvollen und werkgetreuen Adaption der Vorlage, die von dem aus Griechenland stammenden Regisseur selbst vorgenommen wurde, aber zu punkten. Erstklassige Kameraarbeit an wunderbar gewählten Drehorten in Paris, ein exquisit aufspielendes Ensemble und ein Gespür für die atmosphärisch dichte und an seinen Charakteren interessierte Kriminalgeschichte Japrisots zeichnen solches Erstlingswerk aus. Im Vergleich zu den mitunter bizarren Entwicklungen im Buch gerät der zentrale Ermittler der Pariser Kriminalpolizei, Inspektor Graziani (Yves Montand), jedoch zu bieder und normal. Ist jenseits der handfesten Benjamine Bombat in Mord im Fahrpreis inbegriffen auch so ziemlich jeder Rollencharakter ein für den Film Noir exemplarischer, bleibt das ein Manko des Films. Zwar knackt Inspektor Graziani das Rätsel zuletzt, aber er ist selbst zu wenig Japrisots facettenreiche, von Zweifel und Unzulänglichkeit geplagte Figur, um davon zu profitieren und auch für den Zuschauer die Handlung zuzuspitzen.
Neben den guten Leistungen von Catherine Allégret und Jacques Perrin, die in Paris zueinander finden und vor dem Problem stehen, dass auch sie in dem Zugabteil schliefen, darin Georgette Thomas ermordet wurde, ist Michel Piccoli der beste Darsteller des Films. Sein René Cabourg, ein im Hinblick auf sein Verhältnis zu Frauen extrem verstörter Soziopath, ist ein Meisterstück der Darstellungskunst und verdeutlicht, was für ein großartiger Schauspieler Michel Piccoli war. In den folgenden 10 Jahren entstanden alle der international preisgekrönten Erfolgsfilme Costa-Gavras unter Beteiligung vieler Schauspieler seines Erstlings, die darin in und Haupt- und Nebenrollen zu sehen sind. Ab seinem weltweit beachteten und wie viele seiner Filme explizit politischen Werk Vermisst (USA/MEX 1982) arbeitete Costa-Gavras öfter auch in den USA. Er schuf dort u.a. auch den bis heute zu wenig beachteten Neo Noir Verraten (JPN/USA 1988) mit Debra Winger und Tom Berenger in den Hauptrollen.
Die unter Mitwirkung von Costa-Gavras im Jahr 2016 aufwendig restaurierte Fassung des Films ist in Frankreich in der Arte Éditions als exquisite BD und als DVD (2021) erschienen, also ungekürzt im Originalformat mit dem Film bild- und tontechnisch in erstklassiger Qualität, dazu gibt es den französischen Originalton und (wie für französische Bildträger leider typisch) einzig und allein französische Untertitel. Als Extras gibt es je auf Französisch den Kinotrailer, eine Dokumentation der frühen Drehtage, Costa-Gavras ersten Kurzfilm Les ratés (FRA 1958) sowie als Huis clos en cinémascope (2016) ein Filmessay von Samuel Blumenfield. Unter dem Titel Los Raíles Del Crimen gibt es auch eine spanische BD und DVD (2021) mit einer spanischen Synchronfassung und ohne den französischen Originalton, aber die angeblich beinhalteten englischen Untertitel sind des facto auf den Bildträgern nicht vorhanden.