Jo Pil-ho: Der Anbruch der Rache

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Wenn es Nach wird in Paris


Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
****
Originaltitel
Akjilkyungchal
Kategorie
Neo Noir
Land
KOR
Erscheinungsjahr
2019
Darsteller

Lee Sun-kyun, Jeon So-nee, Park Hae-joon, Song Young-chang, Park Byung-eun

Regie
Lee Jeong-beom
Farbe
Farbe
Laufzeit
128 min
Bildformat
Widescreen

 


 

Jo Pil-Ho-Poster-web2_0.jpgJo Pil-Ho-Poster-web1.jpgJo Pil-Ho-Poster-web3.jpg

© Warner Bros.

Die Hafenstadt Ansan in der südkoreanischen Provinz Gyeonggi-do in einer Nacht des Jahres 2015: Der junge Kleinkriminelle Han Gi-chul (Jung Ga-ram) stemmt in einem verlassenen Imbisslokal eine Wand auf. Durch die Vibration seiner Bohrmaschine fällt ein gerahmtes Bild, das die Hafenpromenade im Sonnenuntergang zeigt und mit der Unterschrift Ansan – Stadt des Glücks versehen ist, polternd von der Wand. Als Han Gi-chul eben seinen Schweißbrenner einschalten will, hört er eine Polizeisirene aufjaulen: er schaltet das Gerät aus und duckt sich. Aber der Streifenwagen fährt vorüber, und aus einem gegenüber geparkten, silbernen SUV erhät er durch ein kurzes Aufblitzen der Lichthupe das Signal, dass alles in Ordnung sei. Der Wagen gehört dem Polizeibeamten Jo Pil-ho (Lee Sun-kyun), der die Straße im Blick hat, den Polzeifunk abhört und sich eine Zigarette anzündet. So verschafft sich der Dieb Zugang zum Speicher des nebenan in der 365 Auto Bank aufgestellten Geldautomaten, dessen Inhalt er in Bündeln von Geldscheinen in eine mitgebrachte Tasche packt. Als er mit dem Geld und seinem Arbeitsgerät das Lokal verlassen will, sieht er im Durchgang zwischen den Gebäuden einen Mann sitzen, der entgeistert auf die heruntergefallene Geldtasche starrt, daraus hervor sich mehrere Bündel Banknoten über den Boden verteilen. Der Mann beschimpft Han Gi-chul als Dieb, als Jo Pil-ho hinzukommt und ihn mit einem Fausthieb zu Boden streckt. Der Polizist mahnt seinen leichtsinnigen Partner zur Eile, und gemeinsam hauen sie ab…

 

Die Republik Südkorea sowohl in ihrer politischen Dimension als auch in ihrer Alltagskultur ein wenig zu kennen, hilft sicher, um Jo Pil-ho: Der Anbruch der Rache zu genießen und wertzuschätzen. Mir war beides vergönnt, und ich bedaure, dass in Deutschland nicht mal der sonst zuverlässige Oliver Armknecht für film-rezensionen.de den Stellenwert dieses Thrillers von Autor und Regisseur Lee Jeong-beom (The Man From Nowhere, KOR 2010) zu bemessen wusste. International wurden dessen (wenige) Action-Sequenzen gelobt, das Drehbuch hingegen gerügt. Mir erging es umgekehrt, insofern mir die Action nicht sonderlich wichtig ist, das Drehbuch allerdings sowohl couragiert als auch bis in seine Nuancen durchdacht erscheint. Schon lange sah ich keinen Film, dessen auf die Spitze getriebene, sarkastische Wut und dessen bodenlose Bitterkeit ein solch finsteres und grimmiges Gesellschaftsportrait zeichnet, wie Lee Jeong-beom in diesem Neo Noir um einen durch und durch korrupten Polizeibeamten. Die Art und Weise, wie die Kaste der Herrschenden in Wirtschaft und Politik mithilfe der uneingeschränkten Machtfülle, welche ihnen durch das Kapital der Großkonzerne Südkoreas zu eigen ist, die Jugend ihres Landes zu hörigen Nachfolgern heranzüchtet, ist Dreh- und Angelpunkt dieses Sozialdramas in der Tradition von Das Grab der Sonne (JPN 1961) oder Zeuge einer Verschwörung (USA 1974). Der Taesung Group, in deren Bilanz das Verschwinden von 780 Millionen Won (ca. 588 Millionen Euro) auffiel und die im Mittelpunkt eines medienwirksamen Gerichtsprozesses steht, ist in Lee Jeong-beoms Neo Noir jedes Mittel recht, um Zeugen und Beweismittel verschwinden zu lassen. Lee nimmt genau das als Aufhänger, um vorzuführen, wie sich in seinem Land alles einzig ums Geld dreht. Der Polizist Jo Pil-ho ist so skruppellos wie sein Partner Han Gi-chul, der ihn bei jedem ihrer Einbrüche zu bestehlen versucht, oder die Teenagerin Mi-na (Jeon So-nee), die wiederum bei Han Gi-chul einbricht und ihn seiner Beutegelder beraubt. Jeder betrügt jeden, im Kleinen wie im Großen, als bestimme allein die Gier jenen Code, der das Leben aller Menschen normiert.

 

Dabei bleibt so ziemlich jeder der via Staatsräson nach außen phrasenhaft eingeforderten Werte auf der Strecke - Anstand, Ehrlichkeit, Respekt und Moral sind auf allen Etagen der Gesellschaft bloß Etiketten für die artige Alltagskonversation. Dahinter ist jeder sich selbst der nächste und geht bedenkenlos auch über Leichen. Ich bin selbst kein Freund der Darstellung erbarmungsloser Gewalt im zeitgenössischen Kino, aber die Brutalität dieses Films selbst gegenüber Heranwachsenden und gegenüber Frauen ist so schwer erträglich wie begründet. Das langsame Erwachen des Polizisten Jo Pil-ho ist von Lee Jeong-beom ebenso faszinierend inszeniert, wie von Lee Sun-kyun brillant gespielt. Im Ganzen sind Schauspiel, Drehorte und Kameraarbeit ein Genuss, und auch die geruhsame und flüssige Dramaturgie entspricht dem hohen Standard südkoreanischen Kinos. Das Unglück des Fährschiffes Sewol, das im April 2014 auf einer Fahrt zur Insel Jeju völlig überladen sank und über dreihundert Menschen das Leben kostete, ist ein neuralgischer Punkt der Verbindung zwischen Jo Pil-ho, der Schülerin Mi-san und dem Restaurant-Inhaber Song (Im Hyeong-gook), dem Vater eines Opfers. Dass dieser Skandal, der seinerzeit den Rücktritt des amtierenden südkoreanischen Ministerpräsidenten nach sich zog, hier zwar wesentlich ist, aber nicht im Mittelpunkt steht, erweist sich als ein kluger Schachzug. Jo Pil-ho: Der Anbruch der Rache war in Südkorea ein Flop an der Kinokasse, womöglich weil der Film den Finger auf eine Wunde legt, die höllisch schmerzt. Wegen seines typischen Thriller-Finales ist er für mich kein Meisterstück, aber oft nahe dran, und erweist sich definitiv als ein Film für Connaisseure des asiatischen Neo Noirs mit Sinn und Verstand. Empfehlenswert!

 

In Korea erschien der Film via Warner Bros., sowohl als BD als auch als DVD (2020) inklusive englischer Untertitel, indessen er international vor allem über das Streaming-Portal Netflix zugänglich wurde, seit dem Mai 2019 auch hierzulande und sogar mit einer deutschen Synchronisation, die jedoch Tonfall und Emotionalität der Originalstimmen nie und nimmer trifft. Zu empfehlen ist daher unbedingt der koreanische Originalton mit Untertiteln.

 


 

Neo Noir | 2019 | International | Lee Jeong-beom | Lee Sun-kyun

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