Bewertung
*****
Originaltitel
Winter’s Bone
Kategorie
Neo Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
2010
Darsteller
Jennifer Lawrence, John Hawkes, Lauren Sweetser, Garret Dillahunt, Sheryl Lee
Regie
Debra Granik
Farbe
Farbe
Laufzeit
96 min
Bildformat
Widescreen
© Ascot Elite Home Entertainment
In den Wäldern der Ozark Mountains in Missouri, unweit der Grenze zu Arkansas, lebt Ree Dolly (Jennifer Lawrence) mit ihrem Bruder Sonny (Isaiah Stone), 12 Jahre, und der Schwester Ashlee (Ashlee Thompson), 6 Jahre, sowie der katatonischen Mutter Connie (Valerie Richards) in einem heruntergekommenen Farmhaus. Die 17jährige versorgt Mensch und Tier, bringt die Kleinen zur Schule und bemüht sich, auch das Pferd zu halten, wenn das Geld mal wieder knapp ist. Das ist es im Augenblick, weil der Vater der Geschwister seit Wochen verschwunden ist. Nachdem er bei Herstellung und Handel von Crystal Meth, wonmit er seinen Lebensunterhalt verdient, aufflog, wurde er verhaftet. Allerdings kam er auf Kaution frei und seitdem sucht ihn Sheriff Baskins (Garret Dillahunt), der heute Ree über ihre Lage informiert. Wenn nämlich ihr Vater nicht zur Gerichtsverhandlung erscheint, verliert die Familie Haus und Grundbesitz, denn damit hat er für Zahlung der Kaution durch einen Unbekannten gebürgt. Ree Dolly weiß, dass ihnen dadurch die Lebensgrundlage entzogen würde und sie nicht in der Lage wäre, ihre Familie zu versorgen. Am Abend bringt die Nachbarin Sonya (Shelley Waggener) ein paar Lebensmittel und erkundigt sich, was los sei. Ree gibt Sonya zu verstehen, dass sie ihren Vater finden muss, was nicht allen Verwandten und Bekannten der Familie gefallen wird. Das erfährt Ree schon am nächsten Tag, als sie ihre Freundin Gail (Laura Sweetser) und deren Mann Floyd (Cody Brown) aufsucht…
“You always have scared me.” - “That's cuz you're smart.” Das ist nicht der erste unabhängig produzierte Film, der in 96 Minuten den Budenzauber der CGI-Großproduktionen Hollywoods als kindisch banal bloßstellt. Neben Winter’s Bone wirkt das Comic- und Science-Fiction-Kino der Traumfabrik wie ein Haufen bunter Scherben neben einem Diamanten. Vor allem haben die weltweite Anerkennung, die Winter’s Bone erfuhr und die Oscar-Nominierungen als bester Film, fürs beste Drehbuch und für die beste Haupt- und Nebenrolle verdeutlicht, wie weit der Abstand zwischen dem “Sweet Nothing“ des Popcorn-Kinos und dem Independentfilm inzwischen auseinander klafft. Im Grunde hat das Eine mit dem Anderen nichts mehr zu tun, sowenig wie zum Beispiel Tom Cruise oder Angela Jolie überhaupt noch als „Schauspieler“ gelten können. Debra Granik erzählt ihre Geschichte mit einer Ausdruckskraft und einer Ruhe in jeder Zeile und jeder Einstellung, als hätte sie das Medium Film soeben erfunden. Wenngleich das Werk erzählerisch und handwerklich in einer Tradition steht, sich dieser bewusst deren Elemente auch zu eigen macht, lässt uns die beseelte Meisterschaft, die hier am Werk ist, die Nutzung solcher Mittel fast vergessen. Ja, Musik spielt eine Rolle, verkommt aber nie zum künstlichen Aromastoff. Gewalt ist präsent, latent und real, erweist sich jedoch nie als sensationsgeil ausgestellter Effekt im entabuisierten Schaukasten des Breitwandformats. Sicher, einige Charaktere sind mies und kaputt, sind zugleich weit mehr als nur das und schillern im Fortgang der Handlung in ihren Facetten, erweist sich ihre Zeichnung auch wie mit wenigen Strichen auf die Leinwand gebannt. Winter’s Bone ist ein Musterstück an Minimalismus und Kargheit, ein auf die Essenz geschrumpftes, hoch relevantes Stück Erzählkino.
“Winter’s Bone is a neo-noir. Although it is not in black and white, nor does it use conventional film noir aspects, the film might have given hope to the likes of Billy Wilder and Fritz Lang that the off-shoot noir genre is still cinematically viable”, bringt es Adam Eichen für Clover Reviews - A Conversation on the Filmic Arts auf den Punkt. Die detektivisch anmutende Suche der Tochter nach dem Vater ist dabei das Wenigste. Vor allem sind es die Charaktere selbst, ihre zerfransten, von Hass, Misstrauen und Zuneigung gefurchten Beziehungen zueinander, die Einsamkeit in allen Gesichtern und das Ausgeliefertsein an jeweils dunkle Geheimnisse, die den Film so deutlich als Neo Noir prägen. Obendrein sind es die Thriller-Elemente, der unauslotbare Raum zwischen Recht und Unrecht, darin auch Sheriff Baskin sich verliert, wenn ihm “Teardrop“ Dolly (John Hawkes) in einem Moment archaischer Tiefe aus dem Seitenspiegel seines Wagens die Gretchenfrage stellt. Neben Jennifer Lawrence glänzen vor allem John Hawkes und Dale Dickey mit überragenden darstellerischen Leistungen, die das Werk insgesamt kennzeichnen. Obgleich sich Winter’s Bone durchweg im White-Trash-Milieu bewegt, werden die Charaktere an keiner Stelle via intellektueller Distanz ausgestellt, sondern beweisen im Gegenteil eine ungeheure Souveränität. Winter’s Bone ist ein großartiger Neo Noir, ist überhaupt zeitlos großes Kino!
Erstklassige BD- und DVD-Editionen (2011) der Ascot Elite Home Entertainment GmbH mit dem Film ungekürzt im Originalformat, wahlweise deutsche oder englische Tonspur, optional Untertitel auf Deutsch, Audiokommentare von Debra Granik und Kameramann Michael McDonough, ein Making Of, der Kinotrailer, geschnittene Szenen, etc. pp. als Extras. Ein Muss!