Bewertung
****
Originaltitel
Cold In July
Kategorie
Neo Noir
Land
USA/FRA
Erscheinungsjahr
2014
Darsteller
Michael C. Hall, Sam Shepard, Don Johnson, Vinessa Shaw, Wyatt Russell
Regie
Jim Mickle
Farbe
Farbe
Laufzeit
109 min
Bildformat
Widescreen
Eine texanische Kleinstadt unweit von Houston im Jahr 1989: Richard Dane (Michael C. Hall) betreibt hier ein Fachgeschäft für Bildrahmungen, seine Ehefrau Ann (Vinessa Shaw), mit der er seit der High School zusammen ist, arbeitet als Lehrerin an der örtlichen Schule. Zusammen mit ihrem sechsjährigen Sohn Jordan (Brogan Hall) wohnen sie am Stadtrand in einer einsam gelegenen Straße. Eines Nachts schreckt Ann aufgrund von Geräuschen in ihrem Wohnzimmer aus dem Schlaf und weckt ihren Mann. Jener greift sich den Revolver seines Vaters, lädt mit zitternden Patronen den Zylinder und stellt tatsächlich einen Mann (Ken Holmes) mit Taschenlampe, den er jedoch nicht erkennen kann. Danes Finger rutscht ab und ein Schuss löst sich, der den Einbrecher sofort tötet. Schon bald ist auch die Polizei zur Stelle, deren Sheriff Ray Price (Nick Damici) Richard Dane zu beruhigen versucht. Doch in dem Familienvater wirkt seine Tat, die trotz des unbewaffneten Eindringlings eindeutig Notwehr war, als ein Trauma nach. Die Reaktionen seiner Mitmenschen, die Reinigung des blutigen Tatorts, Jordans Holzpistole - alles erinnert an den schrecklichen Moment. Als Richard Dane auf dem Friedhof vom Auto aus die Beerdingung betrachtet, spricht ihn ein Fremder (Sam Shepard) an. Es ist Ben Russell, Vater des Toten, und selbst auf Bewährung in Freiheit. Wie beiläufig erwähnt er, dass er Bilder von Danes Familie in der Zeitung gesehen habe und er ihn zu seinem reizenden, kleinen Sohn beglückwünsche…
„Jim Mickles Film ist ein makabrer, den Mechanismen des Film Noir folgender Thriller, der mit exzellenten Darstellungen gesegnet ist“, resümierte Peter Osteried bereits im Juli 2014 zu einem Film, der in Deutschland nie ins Kino kam. Mehr denn je, so gewinnt man dieser Tage den Eindruck, wird die deutsche Leinwand von den Großproduktionen der US-Blockbuster beherrscht. Alles Andere fristet auf Festivals und als BD und DVD, von denen ein potentieller Kunde mangels Werbeetats der Filmvertriebe via Amazon oder Facebook erfährt, ein Schattendasein Vor 10 Jahren, so bilde ich mir ein, hätte die Independentproduktion Cold In July, die wie viele US-Filme eine exzellente Kameraarbeit für sich verbuchen kann, auf jeden Fall einen deutschen Filmverleih gefunden. Aber der Wandel im Kulturkonsum, welcher mit der rasanten Medienentwicklung einher geht, hat zu einem Paradigmenwechsel geführt. Dabei ist gerade Michael C. Hall, Star der langlebigen Serie Dexter (USA 2006-2013), selbst ein Name der TV-Kultur, wie sie von der Produktionsgesellschaft HBO in den 2000er Jahren dank deren Riesenerfolgs mit The Sopranos (USA 1999-2007) salonfähig gemacht wurde. Seine Hauptrolle in Jim Mickles Verfilmung des gleichnamigen Romans von Joe R. Lansdale (EA 1989) zählt zur Handvoll Kinofilme, in denen der seit 2001 fürs Fernsehen aktive Michael C. Hall meist nur Gastauftritte hatte. Sein Richard Dane ist ein wunderbar ausgestalteter Rollencharakter und Halls Zusammenspiel mit Sam Shepard, legendärer Autor und Darsteller einer gern „Die 68er“ betitelten Generation, ist schlicht exquisit. Mit Don Johnson (The Hot Spot - Spiel mit dem Feuer, USA 1990) ist ein weiterer Altstar mit einer schillernden Reputation an Bord, die zwar für eine hiesige Kinoauswertung nicht ausreichte, aber Johnson zeigt sich ebenfalls von seiner besten Seite.
Nach einer exzellenten ersten Hälfte, die sich u.a. durch eine atmosphärisch und in der Ausstattung konsequente Wiederbelebung der Spätachtziger auszeichnet - Jeff Graces an die elektronischen Scores der Filme John Carpenters angelehnte musikalische Begleitung ist superb! - schlägt der Film mit Einführung der Don-Johnson-Figur Jim Bob, eines in Houston lebenden Privatdetektivs und Schweinezüchters, einen anderen Ton an. Bis dahin erinnert das Werk mit seinem Bedrohungsszenario und mehreren überraschenden Wendungen stark an J. Lee Thompsons Ein Köder für die Bestie (USA 1962) oder Peter Weirs Der einzige Zeuge (USA 1985). Jim Bob ist jedoch ein Charakter wie der Killer Lyle (Dennis Hopper) in John Dahls Red Rock West (USA 1993), letzterer wie Ben Russell und der Privatdetektiv ein Veteran der US-Armee. Damit ist Jim Bob einer der von Lynch, Tarantino und Dahl während der 90er Jahre ins Rampenlicht gerückten Pop-Charaktere, deren ironische Brechung dem Zuschauer als Augenzwinkern eines neben der Leinwand stehenden Regisseurs auffallen (= ihn nerven) muss. Im Fall von Cold In July spürt man in der ersten Hälfte das Potential der Geschichte auch dank der durch Vinessa Shaw und Nick Damici verkörperten Nebenfiguren, die nun verschwinden. Die zweite Hälfte und auch das Finale sind viel konventioneller und orientieren sich an cineastischen Standards, denen sich der Film eingangs zu widersetzen schien. Cold In July ist in seiner Dramaturgie, in Darstellungskunst und Bildästhetik so ausgereift, dass er einen bis zuletzt bei der Stange hält, aber sein Potential schöpft er bei weitem nicht aus. Dieser Neo Noir hätte großartig sein können (müssen) und hat stattdessen Mühe, hier mit gerade noch 4 Sternen bewertet zu werden.
Erstklassige BD- und DVD-Editionen (2015) der Universal Pictures Germany GmbH mit dem Film ungekürzt (dafür dann FSK 18) im Originalformat, den englischen, deutschen, französischen, polnischen oder ungarischen Ton, optional 19 (!) verschiedene Untertitel, darunter auch englisch und Deutsch, den Kinotrailer als Extra.