Chungking Express

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Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
***
Originaltitel
Chung hing sam lam
Kategorie
Neo Noir
Land
HK
Erscheinungsjahr
1994
Darsteller

Tony Leung Chiu Wai, Brigitte Lin, Faye Wong, Takeshi Kaneshiro, Valerie Chow

Regie
Wong Kar Wai
Farbe
Farbe
Laufzeit
98 min
Bildformat
Widescreen
 

 

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Die Chungking Mansions in der Nathan Road, Hongkong: Nach fünf Jahren in einer Beziehung wurde der Polizist # 223 mit Namen He Qiwu (Takeshi Kaneshiro) am 1. April von seiner Freundin mit Namen May verlassen. Jetzt kauft er sich täglich eine Dose Ananas mit dem Verfallsdatum des 1. Mais, sein Geburtstag und für ihn damit jenes Datum, an dem seine Freundin entweder zu ihm zurückkehren oder ihre Liebe für immer beendet sein wird. Als der Tag schließlich kommt, isst er alle 30 Dosen auf und geht, nachdem er vergebens versucht hat, die eine oder andere alte Freundin zu treffen, in den Bottoms Up Club. Seine Absicht ist, sich sofort in irgendeine Frau zu verlieben, die dort zufällig anwesend ist... Im Auftrag eines kaukasischen Drogenbarons (Thom Baker) will eine Frau mit einer blonden Perücke (Brigitte Lin) mit einigen indischen Einwanderern ein größeres Kontingent Drogen schmuggeln. Doch sie wird von ihren Partnern, denen sie von Anbeginn misstraute, glatt hereingelegt und irrt lange durch die Abfertigungshalle des Flughafens in Hongkong, um diese wieder aufzustöbern, was ihr jedoch nicht gelingt. Frustriert und ausgelaugt betritt sie den Club, wo He Qiwu bereits am Tresen hockt, der nun wiederum versucht, die Frau mit der Perücke, von der er nichts weiß, kennen zulernen. Doch sie zeigt ihm erst einmal die kalte Schulter…
 
Als der Film 1994 dank des Hypes durch den damaligen Moderegisseur Quentin Tarantino seinen Weg in die US-amerikanischen und in die europäischen Kinos fand, waren sich die Filmjournalisten einig: Hier sehen wir ein Meisterwerk! Rundum herrschte Begeisterung, die Vergleiche mit Jean-Luc Godard und Jean-Pierre Melville sprossen in allen Kritiken wie Pilze aus dem Boden. Zurückhaltende Stimmen wie diejenige Michael Brauns'  waren die Ausnahme: „Dann ist da natürlich der Vergleich zu Godard, was nur deutlich macht, dass auch der größtenteils unmotiviert rasante Schnitt und die inflationäre Verwendung der Handkamera keine Erfindungen des Regisseurs Kar-wai sind.“ Mit 18 Jahren Abstand wird beim Wiedersehen klar, inwieweit dieser Film den damaligen Zeitgeist bediente und seinen Reiz aus einer durchgehend cleveren Bearbeitung der Oberfläche seines Materials, durch eine Vielzahl formaler Aspekte gewann: Chungking Express ist vollgestopft mit Popkultur und Jugendposen der Coolness und Weltverachtung, die allesamt zitiert und abgeguckt sind. Bis auf Tony Leung Chiu Wai als Polizist # 663 gibt es keinen Charakter, der ansatzweise Emotionen oder Anteilnahme am Leben der Anderen zeigt. Die übrigen Personen erscheinen gespreizt und gestelzt wie Adaptionen aus Comicbüchern, Abziehbilder „ultracooler“ Fantasien über Liebe und Drama, die willkürlich und voll Eitelkeit daher kommen, so dass auch den Zuschauer die Charaktere bald nicht interessieren. Das Kinoerleben Chungking Express bediente jenen typischen Eskapismus der Neunziger - vermeintlich clever in seiner von Rückblenden und anderen Störfaktoren gebrochenen Erzählweise und schillernd in der Inszenierung, aber an vielen Stellen eigentümlich substanzlos. Sein Erfolg verdankte sich nicht der Anteilnahme an Charakteren oder der/n Geschichte/n sondern der Sehnsucht nach Posen und Haltungen von Erwachsenen, die im Neo-Noir-Märchen Chungking Express stets die von Teenagern sein dürfen.
 
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© Studiocanal GmbH
 
Ein weiteres Problem sind die faden Dialoge - vom sprachlich oft vielschichtigen Neo-Noir-Kino weit weg - und das teils unsägliche Schauspiel, allen voran die laienhafte Darstellung von Faye Wong. Dass ausgerechnet sie 1995 in Stockholm Gewinnerin des Filmpreises FIPRESCI wurde, der internationalen Filmkritiker- und Filmjournalisten-Vereinigung gleichen Namens, belegt die damalige Rezeptionsgeschichte in Europa: Des Kaisers neue Kleider! Als Neo Noir wird Chungking Express heute in zahllosen internationalen Webforen geführt, u.a. auch in der Liste aller Neo-Noir-Titel bei Wikipedia. Gerechtfertigt erscheint das durch seine Erzählstruktur inklusive Erzähler aus dem Off, die Zitate von Jean-Pierre-Melville und John Cassavetes, namentlich den Neo Noirs Der eiskalte Engel (FRA/ITA 1967) und Gloria / Gloria, die Gangsterbraut (USA 1980) geschuldet, und durch die Kameraarbeit Christopher Doyles. Chungking Express ist ein Film, der sich aufgrund seiner handwerklich polierten Inszenierung gut ansehen lässt. Diese Elemente der Verführung wirken noch immer, insofern es in einem de facto cineastischen Sinne, wie auch Roger Ebert nicht müde wurde zu betonen, viel zu gucken gibt. Ansonsten ist der Film, dessen letztes Drehbuchdrittel Wong Kar Wai zum deutlich besseren Neo Noir Fallen Angels (HK 1995) verarbeitete, kaum der Rede wert.
 
Sehr gute DVD von Arthaus /Studiokanal: bildtechnisch topp und ungekürzt im Originalformat, Tonspuren auf Deutsch und Chinesisch mit deutschen Untertiteln, angereichert mit einem Audiokommentar Quentin Tarantinos, einigen Bildergalerien und dem Kinotrailer als Extras.
 

Neo Noir | 1994 | International | Wong Kar Wai | Christopher Doyle | Takeshi Kaneshiro | Tony Leung Chiu Wai

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