Mann, der sich selbst nicht kannte, Der

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Eddie Muller


Wenn es Nach wird in Paris


Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
**
Originaltitel
The Man Who Watched Trains Go By / The Paris Express
Kategorie
Film Noir
Land
UK/USA
Erscheinungsjahr
1952
Darsteller

Claude Rains, Märta Torén, Marius Goring, Ferdy Mayne, Herbert Lom

Regie
Harold French
Farbe
Farbe
Laufzeit
77 min
Bildformat
Vollbild
 

 

Bild Der Mann der sich selbst-Poster-web2.jpg Bild Bild
 
Kees Popinga (Claude Rains) ist im holländischen Groningen Chefbuchhalter in der Firma von Julius de Koster jr. (Herbert Lom), die in der Hafenstadt als Schiffsausrüster zu hohem Ansehen gelangte. Seit 18 Jahren führt Popinga gewissenhaft und korrekt seine Arbeit aus. Die Abende verbringt er mit seiner Frau Maria (Lucie Mannheim) und seinen Kindern Frida (Joan St. Clair) und Karl (Robin Alalouf) in der Küche seines hübschen Hauses, wo er nach dem Abendessen dem Radio auf dem Kaminsims lauscht und eine Zigarre pafft. Popinga wird beim Vorüberfahren der Fernzüge mitunter von einer unbestimmten Sehnsucht ergriffen; ansonsten gibt es nichts Auffälliges an dem biederen Bürger. Heute Morgen erhält Julius de Koster jr., nachdem er das Ersuchen des arbeitslosen Merkemans (Felix Aylmer) um eine Stelle mit dem Hinweis auf die moralische Integrität des Unternehmens ablehnte, überraschend Besuch von dem Pariser Polizeikommissar Lucas (Marius Goring). De Koster bittet Popinga zu sich ins Büro, denn es geht um illegale Transaktionen und Spekulationen mit Geld aus Holland, das Lucas meint in die Firma von de Koster rückverfolgt zu haben. Kees Popinga ist völlig ahnungslos und gewährt Lucas bereitwillig Einblick. Abends ist man zu dritt im heimischen Schachclub, doch der Polizist aus Paris erweist sich überraschenderweise den einheimischen Spielern überlegen. Als Popinga später am Werksgebäude vorübergeht, erblickt er ein flackerndes Licht in der Etage seines Büros und sieht nach, was dort los ist. Er ertappt de Koster, der die gesamte Buchführung verbrennt und seinem Buchhalter mitteilt, dass die Firma bankrott und auch Popingas Ersparnisse, die jener komplett in die Firma investierte, verloren seien…
 
„He’s got no future. And he doesn’t seem to have had much of a past“. Das ist so ziemlich die beste Zeile aus einer Produktion, die als Verfilmung von Georges Simenons grandiosem Roman Der Mann, der den Zügen nachsah (EA 1938) ein Klassiker hätte werden können... nein, müssen. Stattdessen machen der Regisseur und Drehbuchautor Harold French und sein Co-Autor Paul Jarrico so ziemlich alles falsch, was sich falsch machen lässt. Die Dramaturgie und die Charaktere der Romanvorlage werden bis zur Unkenntlichkeit verwässert und teils ins Gegenteil verkehrt. Im Buch ist Popinga einer, dem ein Schicksalsschlag die Grundlage seiner gutbürgerlichen Existenz wie den berühmten Teppich unter seinen Füßen wegzieht. Dadurch aber sieht er sich aus den verhassten Ketten seiner erzwungenen Selbstdisziplin befreit. Kees Popinga wird zum Mörder und zum Autodieb, indessen de Koster jr. seinen Selbstmord nur vortäuscht und nach London flieht. Popinga verbringt seine Nächte mit Huren in billigen Pariser Absteigen, probiert verschiedene Varianten einer neuen Identität und wird schließlich erneut gewalttätig. Vor allem aber hat er keinerlei Einsehen in seine Schuld und liefert sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit einem Kommissar, den er nie zu Gesicht bekommt. Der Kees Popinga des Buches ist ein vielschichtiger, schillernder Charakter. Derjenige des Films ist das genaue Gegenteil.
 
Bild Bild Bild
 
„Mediocre at best, the film fails in the portrayal of Popinga”, schlussfolgert Guy Savage für Film Noir of the Week, der den Film ebenfalls an seiner Vorlage misst. Claude Rains‘ Kees Popinga ist ein biederer, schwacher Provinzling, eine Witzfigur für die Städter Michelle (Märta Toréns) und Luis (Ferdy Mayne), die den täppischen Herrn – Rains kann seine 63 Jahre nicht verhehlen – ganz aus eigenem Verschulden zum Äußersten reizen. Wie auch Kommissar Lucas lassen sie den desorientierten und albernen Touristen Popinga mit seinem Geldkoffer durch Paris tapern, statt ihm sofort eins über den Schädel zu hauen. Doch der Film ist nicht nur aufgrund der Fehlinterpretation seines zentralen Rollencharakters sondern auch wegen unlogischer Wendungen ein Ärgernis. In der Millionenstadt Paris findet Michelle den verlorenen Popinga innerhalb von 10 Minuten – einfach so. Und Lucas erkennt zwar, dass Popinga mit einem Handkoffer des toten Julius de Koster jr. nach Paris reist. Doch statt den Koffer zu öffnen oder zu beschlagnahmen, reicht er ihn an Popinga zurück, der damit im nächsten Moment aus dem Zug springt. All das gibt es in Simenons Buch nicht und ist im Kontext der Handlungslogik widersinnig. Weder als Kriminalfilm noch als Versuch eines Film Noirs (in Farbe) zu empfehlen, zumal der halbwegs konsequente Schluss damit zusammenhanglos erscheint. Auch das Schauspiel ist gerade mal mittelmäßig, Außenaufnahmen in Paris gibt es nur wenige, die Nebendarsteller sind reine Funktionsträger. Also weder Fisch noch Fleisch, lässt sich zusammenfassen, und getrost zu vernachlässigen.
 
Exzellente DVD-Edition (2008) der englischen Metrodome Distribution Ltd. mit dem Film bildtechnisch sauber restauriert und auch farblich akkurat, dazu den englischen Originalton ohne Untertitel und ohne Extras.
 

Film Noir | 1952 | UK | Harold French | Georges Simenon | Otto Heller | Claude Rains | Eric Pohlmann | Ferdy Mayne | Herbert Lom | Marius Goring | Lucie Mannheim | Märta Torén

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