Mann ohne Vergangenheit, Der

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Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
****
Originaltitel
Mies vailla menneisyyttä
Kategorie
Neo Noir
Land
FIN/GER/FRA
Erscheinungsjahr
2002
Darsteller

Markku Peltola, Kati Outinen, Juhani Niemelä, Kaija Pakarinen, Sakari Kuosmanen

Regie
Aki Kaurismäki
Farbe
Farbe
Laufzeit
93 min
Bildformat
Widescreen
 

 

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© Pandora Film GmbH & Co. Verleih KG
 
Mit dem Zug erreicht ein Mann (Markku Peltola) spät in der Nacht die finnische Hauptstadt Helsinki. Bevor der Schaffner (Toni Salminen) seine Fahrkarte kontrollierte, hatte er noch eine selbstgedrehte Zigarette geraucht. Nun ist vier Uhr morgens und erschöpft schläft er neben seinem Koffer auf einer Parkbank ein. Drei üble Burschen (Risto Korhonen, Panu Vauhkonen, Tom Wahlroos) schleichen sich von hinten an den Reisenden heran und einer gibt ihm gleich mit dem Baseballschläger eins über den Schädel. Sie stehlen seine Brieftasche, der sie das Geld entnehmen und die sie dann in einem Papierkorb verschwinden lassen. Sie plündern sein Gepäck und schlagen den Bewusstlosen aus reiner Lust an der Gewalt halbtot. Der Mann schafft es trotz seiner Verletzungen, sich in den Hauptbahnhof zurück zu schleppen, wo er auf der Herrentoilette zusammenbricht. Ein Wachmann (Vesa Mäkelä) vermutet, der Fremde sei tot und ruft den Notarztwagen. Im Krankenhaus stirbt der Unbekannte unter den Augen des behandelnden Arztes (Aarre Karén) und einer Krankenschwester (Eeva-Liisa Haimelin), die angewiesen wird, ihn in die Pathologie zu bringen. Kaum hat sie das Zimmer verlassen, richtet sich der Mann auf, reißt sich die Elektroden vom Leib und greift nach seiner Kleidung. Am Morgen liegt er schlafend im Hafen. Ein alter Mann (Kalevi Heinämaa) stiehlt ihm seine Stiefel und ersetzt sie durch ein Paar Segelschuhe. Zwei Jungs (Anton Peltola, Joona Karastie) kommen des Weges, und als sie sehen, dass der Mann offenbar am Leben ist, geben sie ihrem Vater, dem Nachtwächter Nieminen (Juhani Niemelä), Bescheid…
 
Barbara Schweizerhof schrieb in der Berliner taz (die tageszeitung) im November 2002 über Der Mann ohne Vergangenheit als „Film Noir, der schon im hastigen Pinselschriftzug des Titels in Erinnerung gebracht wird. Ein Mann allein, eben ohne begleitende Vergangenheit, in unbekannter Umgebung ist eine typische Konstellation aus den tiefpessimistischen amerikanischen Nachkriegsfilmen, genauso wie die Verbrechensgeschichte im Hintergrund und die markanten Ein-Satz-hin-ein-Satz-zurück-Dialoge. In Europa gab und gibt es seit den Sechzigern namhafte Regisseure, die dem klassischen Film Noir aus den USA die eine oder andere filmische Hommage erwiesen und/oder sich explizit von ihm inspirieren ließen – François Truffaut, Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders, Stephen Frears und viele andere. In Finnland ist es seit dem 1990 entstandenen I Hired A Contract Killer Aki Kaurismäki, der sich die Noir-Tradition in unverwechselbarer Weise und stets mit Prisen schwarzen Humors anverwandelte. Bei Aki Kaurismäkis Dramen ist der Terminus Neo Noir explizit berechtigt. Der Autor und Regisseur hat eine ureigene Sicht auf die Welt, für die er in unnachahmlicher Weise seine Kenntnis der Filmhistorie nutzt und im eigenen Werk seine Expertise auffaltet. Doch er entwickelt Themen und Filmsprache weiter, bettet sie in Geschichten, die schlicht und zeitlos zugleich sind. Erst spät wird der Namenlose mit dem Kürzel M benannt und der Bezug zu Fritz Langs Klassiker M - eine Stadt sucht einen Mörder (GER 1931) ist offensichtlich. Zuvor erinnert der im Krankenhaus am Kopf Bandagierte an Vincent Parry (Humphrey Bogart) in Delmer Daves Die schwarze Natter /das unbekannte Gesicht (USA 1947) und seine Amnesie an diejenige George W. Taylors (John Hodiak) in Joseph L. Mankiewiczs Somewhere In The Night (USA 1946). In Wort und Bild lauern viele Zitate, die den Gehalt der eigenen Geschichte jedoch nicht schmälern. Im Gegenteil!
 
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© Pandora Film GmbH & Co. Verleih KG
 
In Der Mann ohne Vergangenheit spielt schlussendlich die verlorene Vergangenheit im Abgleich zur neu gewonnenen Gegenwart des Lebens eine zentrale Rolle - wie überhaupt im Film Noir. Kameramann Timo Salminen, der u.a. auch für Akis älteren Bruder Mika Kaurismäki gearbeitet hat (Reise in die Finsternis, FIN 1985), setzt wunderbar choreographierte Akzente. Der Mann ohne Vergangenheit ist nicht allein Neo Noir, er ist auch Sozialdrama und Liebesgeschichte, ohne in einer einzigen Szene seiner Romantik - essentieller Bestandteil des Film-Noir-Kinos - zu verfallen oder sich gar eine Botschaft anzueignen. Dafür hat Aki Kaurismäki einfach zuviel Humor, der die Linie zum Klamauk - hierin ist er stilsicher - nur in ganz seltenen Fällen überhaupt streift. Gibt es etwas, dass man Kaurismäki zum Vorwurf machen könnte, wäre es jene motivische Wiederholung in seinen Filmen, die ähnlich gelagerte Low-Life-Erzählungen mit einem Rankenwerk von Liebe, Kriminalität, Alhohol und populärer Musik veredeln, das dem Genießer seiner clever charmanten Weltsicht irgendwann einfach allzu bekannt ist. Ansonsten ist Der Mann ohne Vergangenheit in diesem Werkskanon ein Klassiker, den auch seine Schauspieler/innen zu einer Besonderheit erheben, denn solche sind grandios. Der Film erhielt in den Jahren 2002 und 2003 neun internationale Filmpreise - u.a. in Cannes - und war 2002 sogar für den Oscar als Bester ausländischer Film nominiert.
 
Erstklassige DVD-Edition der Pandora Film (2011) mit dem Film ungekürzt im Originalformat und inklusive deutscher und finnischer Tonspur, optional deutsche Untertitel, dazu den Kinotrailer als Extra. Empfehlenswert!
 

Neo Noir | 2002 | International | Aki Kaurismäki | Timo Salminen | Markku Peltola | Kati Outinen

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